Die sechste Reise Sindbads des Seefahrers

[434] Wisset, o meine Brüder und Freunde und Gefährten alle, nach der Heimkehr von meiner fünften Reise lebte ich eine Weile in aller Freude und Befriedigung, in Heiterkeit, Genuß und Wohlsein; und ich vergaß, was ich erduldet hatte, dieweil Gewinn und Verdienst alles andere übertäubten. Und als ich eines Tages dasaß und mich mit einigen Freunden vergnügte und unterhielt, da kam eine Schar von Kaufleuten zu mir, deren Äußeres schon von weiten Reisen sprach, und sie plauderten mit mir von Fahrten zur See und von Abenteuern und von gewaltigem Reichtum und Gewinn. Mir aber fielen die Tage meiner Heimkehr ein und meine Freude, da ich mein Land wiedersah und zu meinen Anverwandten und Freunden kam; und meine Seele sehnte sich nach Reise und Handel. Und von Los und Schicksal getrieben, beschloß ich, wiederum eine Seefahrt zu unternehmen. Ich kaufte mir schöne und kostbare Waren, wie sie geeignet schienen für den Handel in der Ferne, und ich schnürte sie in Ballen, mit denen ich hinunterzog von Bagdad nach Bassorah. Dort fand ich ein großes Schiff, das zur Ausfahrt bereitlag und voll war von Vornehmen und Kaufleuten, die[434] wertvolle Waren bei sich hatten; darin schiffte auch ich meine Ballen ein. Und wir verließen unter der Obhut des Königs und Bewahrers Bassorah in aller Sicherheit und frohen Mutes und segelten von Ort zu Ort, und von Stadt zu Stadt; wir kauften und verkauften und strichen Gewinne ein, während wir uns ergötzten am Anblick der Länder, in denen fremde Völker wohnten. Und das Schicksal und die Seefahrt lächelten uns, bis eines Tages, als wir dahinzogen, siehe, der Schiffsführer plötzlich einen lauten Schrei ausstieß und seinen Turban auf das Schiffsdeck schleuderte. Dann schlug er sich wie ein Weib das Gesicht und riß sich den Bart aus und fiel inmitten des Schiffes nieder, ohnmächtig fast vor dem Übermaß des Grames und der Wut; und er rief: ›Ach und Wehe um das Verderben meines Hauses, dieweil meine Kinder Waisen sind!‹ Da drängten sich all die Kaufleute und die ganze Mannschaft um ihn herbei und fragten: ›O Kapitän, was ist geschehen?‹ Denn ihnen ward das Licht vor den Augen zunicht. Und er erwiderte und sprach: ›Wisset, ihr Leute, wir haben den Kurs verloren und das Meer verlassen, dessen Straßen wir kennen, und wir sind in ein Meer geraten, dessen Straßen ich nicht mehr kenne; und wenn Allah uns nicht ein Mittel der Rettung sendet, so sind wir alle des Todes; betet also zum Höchsten, daß er uns befreie aus dieser Not. Vielleicht ist unter euch ein Gerechter, dessen Gebet der Herr erhören wird.‹ Und er stand auf und kletterte auf den Mast, um zu sehen, ob uns ein Ausweg bliebe; und er wollte die Segel schießen lassen, doch der Wind wuchs wider das Schiff und wirbelte es dreimal herum und warf es zurück; und sein Ruder brach, und es trieb ab, auf einen hohen Berg zu. Da kam der Kapitän vom Mast herab und sprach: ›Es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen; und kein Mensch kann verhindern, was das Schicksal vorbestimmt hat! Bei Allah, wir sind an einem Ort des sicheren Untergangs geraten, und es gibt keinen Weg der Flucht mehr für uns, und keiner von uns wird gerettet werden!‹ Da begannen wir alle um uns selber zu weinen, und wir nahmen Abschied voneinander, da unsere Tage ihr Ziel erreichten und wir jede Hoffnung auf das Leben verloren hatten. Und[435] bald darauf stieß das Schiff wider den Berg und zerschellte, und alle und alles, was an Bord war, tauchten ins Meer hinab. Ein paar der Kaufleute ertranken, doch anderen gelang es, die Küste zu erreichen und sich auf den Berg zu retten, und unter diesen war auch ich. Und als wir ans Land kamen, fanden wir eine große Insel oder Halbinsel; deren Fuß bestreut war mit den Trümmern der Fahrzeuge und mit Waren und Gerät, die das Meer aus den gescheiterten Schiffen ans Land gespült hatte, deren Insassen ertrunken waren; die Mengen aber machten jede Zählung und Berechnung zuschanden. Ich also kletterte über die Klippen in das Innere der Insel und ging weiter, bis ich zu einem Bach frischen Wassers kam, der am nächsten Bergesfuß hervorquoll und unter der Hügelreihe gegenüber wieder im Erdboden verschwand. Die andern Reisenden aber zogen alle über die Berge in die inneren Striche; und indem sie sich hierhin und dorthin zerstreuten, wurden sie irre ob dessen, was sie sahen, und sie wurden wie wahnsinnig bei dem Anblick des Reichtums und der Schätze, mit denen die Küsten bestreut waren. Ich nun blickte derweilen in das Bett des genannten Baches hinab, und ich sah darin große Mengen von Rubinen und Königsperlen und allerlei Edelsteinen und Juwelen, die wie Kies im Bett der Bächlein lagen, von denen die Felder durchzogen wurden; und selbst der Sand glitzerte und funkelte von Edelsteinen und Edelerzen. Ferner fanden wir auf der Insel das schönste Aloenholz die Fülle, sowohl chinesisches wie komoriner; und es entspringt dort auch ein Quell rohen Ambers, der wie Wachs oder Gummi über die Bachufer fließt, so groß ist die Hitze der Sonne; und er strömt nieder zur Meeresküste, wo die Ungeheuer aus der Tiefe kommen und ihn verschlucken und damit zurückkehren in das Meer. Aber er brennt ihnen in den Eingeweiden, und deshalb speien sie ihn wieder aus, und er erstarrt auf der Oberfläche des Wassers, so daß er sich in Farbe und Menge wandelt; und schließlich werfen die Wellen ihn ans Land, und die Reisenden und Kaufleute, die ihn kennen, sammeln und verkaufen ihn. Der rohe Amber aber, der noch nicht verschluckt ist, fließt über das Bett und erstarrt auf den Ufern, und wenn die Sonne darauf scheint, so schmilzt er und erfüllt das ganze Tal[436] mit seinem moschusartigen Duft; und wenn die Sonne verschwindet, so erstarrt er von neuem. Niemand aber kann dorthin gelangen, wo dieser rohe Amber fließt; denn die Berge, die die Insel auf allen Seiten umschließen, kann keines Menschen Fuß erklimmen. In dieser Weise erforschten wir die Insel, und wir staunten ob der wunderbaren Werke Allahs und ob der Reichtümer, die wir dort fanden, aber wir waren sehr besorgt um uns selber und ob unsrer düsteren Aussicht. Nun hatten wir am Strande ein wenig Zehrung aus dem Wrack genommen und sorgfältig damit hausgehalten, indem wir jeden Tag oder jeden zweiten Tag nur einmal aßen, weil wir fürchteten, die Nahrung könne uns ausgehen, und wir müßten elend Hungers und Schreckens sterben. Obendrein waren wir erkrankt an Kolik, der Folge der Seekrankheit und der schlechten Ernährung, und meine Gefährten starben einer nach dem andern dahin, bis nur noch eine kleine Schar von uns übrig blieb. Einen jeden, der starb, wuschen wir und hüllten ihn ein in ein paar der Kleider und in einiges von dem Linnen, das von den Fluten ans Land gespült wurde; und nach einer Weile kamen all meine Gefährten einer nach dem andern um, bis ich auch den letzten begraben hatte und mit nur noch geringem Vorrat auf der Insel allein blieb, ich, der ich so viel zu besitzen gewohnt war. Da weinte ich um mich selber und sprach: ›Wollte der Himmel, ich wäre vor meinen Gefährten gestorben und sie hätten mich gewaschen und begraben! Es wäre besser für mich gewesen, als daß ich jetzt umkomme und niemand mich wäscht und ins Laken hüllt und begräbt. Doch es gibt keine Majestät, und es gibt keine Macht, außer bei Allah, dem Glorreichen, Großen!‹ Als ich nun den letzten meiner Gefährten begraben hatte und auf der Insel allein blieb, stand ich auf, grub mir ein tiefes Grab am Strande und sprach bei mir selber: ›Wenn ich schwach werde und merke, daß der Tod zu mir kommt, so will ich mich in das Grab werfen und dort sterben, damit der Wind den Sand über mich dahintreibt und mich zudeckt, so daß ich begraben werde.‹ Dann machte ich mir Vorwürfe ob meines Unverstands, daß ich nach meinen fünf ersten Reisen noch einmal meine Heimat verlassen und mich von neuem aufs Meer begeben hatte, obgleich ich auf jeder einzelnen immer furchtbarere[437] Gefahren durchgemacht und immer schrecklichere Mühsal bestanden hatte, als auf ihrer Vorgängerin; jetzt aber hatte ich keine Hoffnung mehr, der gegenwärtigen Not zu entgehen; und ich bereute meine Narrheit und beklagte mich, zumal ich des Geldes entraten konnte, denn ich hatte genug und konnte nicht einmal ausgeben, was ich besaß, nein, nicht einmal in meinem ganzen Leben die Hälfte. Nach einer Weile aber schickte mir Allah einen Gedanken, und ich sprach zu mir selber: ›Bei Gott, dieser Bach muß ein Ende haben wie einen Anfang; und also muß er irgendwohin führen, und vielleicht bringt mich sein Lauf an einen bewohnten Ort; demnach ist mein bestes Auskunftsmittel das, mir ein kleines Boot zu machen, groß genug, daß ich darin sitzen kann, und es auf den Bach zu setzen und zu besteigen und den Strom hinabzugleiten. Wenn ich entrinne, so entrinne ich mit Allahs Erlaubnis; und wenn ich umkomme, so will ich lieber im Wasser sterben als hier.‹ Und mit einem Seufzer um mich selber machte ich mich an das Werk, indem ich eine Anzahl von Stämmen der chinesischen und der komoriner Aloe sammelte, die ich mit Tauen aus dem Wrack zusammenband; dann suchte ich mir unter den zerschellten Schiffen gerade Planken von gleicher Größe aus und befestigte sie auf dem Aloenholz und machte mir so ein kleines Floß, das nur wenig schmaler war als das Bett des Baches, und ich band es fest und straff, als sei es genagelt. Dann belud ich es mit Waren, Edelerzen und Juwelen, mit den Perlen, die da waren wie Kies, und mit dem besten des rohen und reinen Ambers, und mit allem, was ich auf der Insel gesammelt hatte, samt dem, was mir noch übrig blieb an Zehrung und wilden Kräutern. Zuletzt hing ich an beiden Seiten je ein Brett auf, das mir als Ruder dienen sollte, und ich ließ es aufs Wasser hinab und schiffte mich ein. Und mein Floß schoß dahin mit dem Strom, während ich des Ausgangs des Abenteuers dachte; und ich trieb dahin, bis ich zu der Stelle kam, wo der Bach unter dem Berge verschwand. Dort ruderte ich mein Floß in die Höhle hinein, in der mich dichte Finsternis umgab; und der Strom schob es in das unterirdische Bett hinab. Das schmale Wasser trug mich dahin durch einen engen Stollen, wo das Floß an beiden Seiten wider die Wände stieß[438] und wo mein Kopf an der Decke entlang streifte, während jede Rückkehr unmöglich war. Da schalt ich mich selber, dieweil ich mein Leben in dieser Weise aufs Spiel gesetzt hatte, und sprach: ›Wenn dieser Durchbruch noch enger wird, so kann das Floß nicht mehr weiter, und ich kann auch nicht zurück; so werde ich also unerbittlich elend umkommen in dieser Tiefe.‹ Und ich warf mich um der Enge des Stollens willen mit dem Gesicht auf das Floß, während der Strom mich immer weiter mitriß, ohne daß ich Tag von Nacht unterscheiden konnte in dem schwarzen Dunkel, das mich einhüllte, und in der Angst und Besorgnis um mein Leben. In dieser Weise ging meine Fahrt durch den Stollen dahin, der bald enger und bald weiter wurde; und da mich das Dunkel, das man fühlen konnte, müde machte, so schlief ich ein, während ich auf dem Floß dahingestreckt lag, und ich schlief und wußte nicht, ob die Zeit lang war oder kurz. Als ich schließlich erwachte, sah ich rings um mich das Licht des Himmels, und als ich die Augen aufschlug, erkannte ich, daß ich mitten auf einer Erweiterung des Stromes lag, wo das Floß an einer Insel vertaut war und wo mich eine Anzahl Inder und Abessinier umstanden. Sowie nun die Schwarzen sahen, daß ich wachte, kamen sie auf mich zu und sprachen mich in ihrer Sprache an; ich aber verstand nicht, was sie sagten, und hielt dies alles für einen Traum und ein Gesicht, das mich heimsuchte im Übermaß der Sorge und des Kummers. Doch freute ich mich meiner Rettung aus der Höhle. Als sie merkten, daß ich sie nicht verstand und ihnen keine Antwort gab, trat einer von ihnen vor und sprach auf arabisch zu mir: ›Friede sei mit dir, o mein Bruder! Wer bist du, und woher kommst du? Wie bist du auf diesen Fluß gekommen, und welcherlei Land liegt hinter jenen Bergen, denn niemals haben wir es erlebt, daß von dort jemand zu uns kam?‹ Sprach ich: ›Und auch mit dir sei Friede und Allahs Erbarmen und sein Segen! Wer seid ihr, und was für ein Land ist dies?‹ ›O mein Bruder,‹ erwiderte er, ›wir sind Ackerbauern, die den Boden pflügen; und wir kamen hierher, um unsere Felder und Pflanzungen zu bewässern; und da wir dich auf diesem Flosse schlafen sahen, so ergriffen wir es und banden es fest, damit du in Muße erwachen könntest. Also[439] sag uns, wie du hierhergekommen bist?‹ Versetzte ich: ›Um Allahs willen, o mein Herr, bevor ich spreche, gib mir zu essen, denn ich verhungere, und nachher frage mich, was du willst.‹ Da eilte er, mir Speise zu bringen, und ich aß mich satt, bis ich erfrischt war und der volle Magen meine Furcht beruhigte und neues Leben mich durchströmte. Dann dankte ich dem Höchsten für seine großen und kleinen Gnadenbeweise, froh, dem Flusse entronnen zu sein, und glücklich, daß ich mich in ihrer Mitte sah; und ich erzählte ihnen von Anfang bis zu Ende all meine Abenteuer, besonders aber, was ich in dem engen Stollen erduldet hatte. Und als ich mich ausgeruht hatte, berieten sie sich und sprachen untereinander: ›Es hilft nichts, wir müssen ihn mitnehmen und vor unseren König führen, damit wir ihn bekannt machen mit seinen Abenteuern.‹ So nahmen sie mich und das Floß samt seiner Ladung an Geld und Waren, Juwelen, Mineralien und Goldgerät, und führten mich zu ihrem König, der da der König von Sarandib1 war, und erzählten ihm das ganze Geschehnis. Er grüßte mich und hieß mich willkommen und fragte mich durch den, der Arabisch gesprochen hatte, nach meinem Stande und meinen Abenteuern. Ich wiederholte ihm meine Geschichte von Anfang bis zu Ende, so daß er aufs höchste staunte und mir Glück wünschte zu meiner Rettung; dann stand ich auf und holte von dem Floß einen großen Vorrat an Edelerzen und Juwelen, Amber und Aloenholz; und all das schenkte ich dem König, der es annahm und mich höchst ehrenvoll behandelte, indem er mir in seinem eigenen Palaste Wohnung anwies. Ich verkehrte also hinfort mit den Vornehmsten der Inselbewohner, und sie bezeigten mir stets die größte Achtung, während ich den Palast des Königs nicht verließ. Nun aber liegt die Insel Sarandib unter der Linie der Tag- und Nachtgleiche, so daß sowohl Tag wie Nacht zwölf Stunden zählen. Sie ist bei einer Breite von dreißig Meilen achtzig Meilen lang, und sie wird begrenzt von einem hohen Gebirge und einem tiefen Tal. Das Gebirge ist sichtbar bis zu einer Entfernung von drei Tagen, und es enthält vielerlei Rubinen und andere Mineralien, sowie auch allerlei Gewürze. Der Boden ist bedeckt mit Schmirgel,[440] womit man Edelsteine schleift und schneidet; Diamanten liegen in ihren Flüssen und in ihren Tälern. Ich bestieg das Gebirge und freute mich an dem Anblick seiner Wunder, die niemand schildern kann; und nachher kehrte ich zu dem König zurück. Und all die Reisenden und Kaufleute, die die Insel besuchten, fragten mich nach der Verwaltung meiner Heimat und nach dem Kalifen Harun al-Raschid und seiner Herrschaft, und ich erzählte ihnen von ihm und von dem, weswegen er berühmt war, und sie priesen ihn; ich dagegen fragte sie nach den Sitten und Gebräuchen ihrer eigenen Länder und erhielt die Auskunft, die ich wünschte. Eines Tages aber fragte mich auch der König selber nach der Regierungsform und Art in meinem Lande, und ich machte ihn bekannt mit den Verhältnissen der Herrschaft des Kalifen in Bagdad und mit der Gerechtigkeit seiner Verwaltung. Der König staunte ob meines Berichtes und sprach: ›Bei Allah, des Kalifen Verordnungen sind wahrlich weise, und seine Verwaltung verdient gepriesen zu werden mit allem Preise, und du hast mir durch deinen Bericht die Liebe zu ihm ins Herz gepflanzt; deshalb möchte ich ihm ein Geschenk überreichen durch deine Hand.‹ Sprach ich: ›Hören und Gehorsam, o mein Herr; ich will ihm deine Gabe bringen und ihm melden, daß du ihm in aufrichtiger Liebe und treuer Freundschaft zugetan bist.‹ In allen Ehren und hohem Ansehn blieb ich nun lange Zeit bei dem König, bis ich eines Tages, als ich in seinem Palaste saß, von einer Schar von Kaufleuten vernahm, die ein Schiff ausrüsteten für die Reise nach Bassorah, und bei mir selber sprach: ›Ich kann nichts Besseres tun, als mit diesen Leuten reisen.‹ Unverzüglich und unverweilt also stand ich auf, küßte dem König die Hand und machte ihn bekannt mit meiner Sehnsucht, die Kaufleute zu begleiten, dieweil mich verlangte nach meiner Heimat und den Meinen. Sprach er: ›Du bist dein eigener Herr; doch wenn es dein Wunsch ist, bei uns zu bleiben, so sei es auf unserem Haupt und unseren Augen; denn du heiterst uns auf mit deiner Gesellschaft.‹ ›Bei Allah, o mein Herr,‹ erwiderte ich, ›du hast mich mit deiner Huld und Wohltat überschüttet; doch ich lechze nach dem Anblick meiner Heimat, meiner Freunde und der Meinen.‹ Als er das[441] hörte, berief er die Kaufleute vor sich und empfahl mich ihrer Obhut, indem er ihnen Fracht und Fahrgeld für mich bezahlte. Dann verlieh er mir großen Reichtum aus seinen Schätzen und übergab mir außerdem ein prachtvolles Geschenk für den Kalifen Harun al-Raschid. Ferner überreichte er mir ein versiegeltes Schreiben, indem er sprach: ›Das übergib mit eigner Hand dem Beherrscher der Gläubigen und bringe ihm viele Grüße von uns.‹ ›Hören und Gehorsam,‹ erwiderte ich. Die Botschaft aber war geschrieben auf die Haut des Khawi, die noch feiner als Pergament und von gelblicher Farbe ist, und zwar mit azurblauer Tinte; und er lautete also: ›Friede sei mit Dir von dem König von Al-Hind, vor dem tausend Elefanten stehen und auf dessen Zinnen im Palaste tausend Edelsteine ragen. Des ferneren aber (Preis sei dem Herrn und Lob sei seinem Propheten!): wir senden Dir eine winzige Gabe, die Du freundwillig annehmen mögest. Du bist uns ein Bruder und ein aufrichtiger Freund; und groß ist die Liebe, die wir im Herzen für Dich hegen; deshalb begnade uns mit einer Antwort. Die Gabe entspricht Deiner Würde nicht, doch wir bitten Dich, o unser Bruder, nimm sie huldreich an, und Friede sei mit Dir!‹ Das Geschenk aber bestand aus einem Becher aus Rubin, der war eine Spanne hoch, und sein Inneres war besetzt mit kostbaren Perlen; und ferner aus einem Ruhelager, das war bespannt mit der Haut der Schlange, die den Elefanten verschlingt und deren Haut Flecken zeigt, ein jeder ist wie ein Dinar; und wer darauf sitzet, der wird niemals krank; und ferner aus indischem Aloenholz im Werte von hunderttausend Dinaren und einer Sklavin, dem leuchtenden Monde gleich. Dann nahm ich Abschied von ihm und all meinen Vertrauten und Freunden auf der Insel und schiffte mich mit den Kaufleuten ein. Wir segelten mit günstigem Winde dahin, indem wir uns der Obhut Allahs empfahlen (Er sei erhöht und erhoben!); und mit seiner Erlaubnis kamen wir nach Bassorah, wo ich ein paar Tage und Nächte blieb, um mich auszurüsten und meine Ballen zu schnüren. Dann zog ich weiter nach Bagdad, dem Hause des Friedens, wo ich um eine Unterredung mit dem Kalifen nachsuchte und die Geschenke des Königs vor ihn legte. Er fragte mich, von wem sie kämen, und ich[442] sprach zu ihm: ›Bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, ich weiß weder den Namen der Stadt noch auch den Weg dorthin!‹ Da fragte er mich: ›O Sindbad, ist das wahr, was der König schreibt?‹ Und nachdem ich den Boden geküßt hatte, erwiderte ich: ›O mein Herr, ich sah in seinem Königreich viel mehr als das, davon er in seinem Schreiben berichtet. Bei den Staatsumzügen wird für ihn auf einem riesigen Elefanten von elf Ellen Höhe ein Thron bereitet; darauf setzt er sich, und zu seiner Rechten und seiner Linken stehen in zwei Reihen seine Großen, Herren, Würdenträger und Gäste. Zu seinen Häupten steht ein Mann, der hält in der Hand einen goldenen Wurfspieß, und hinter ihm ein anderer mit einer großen goldenen Keule, deren Griff aus einem Smaragd besteht, eine Spanne lang und so dick wie der Daumen eines Mannes. Und wenn er sein Roß besteigt, so steigen mit ihm tausend Reiter auf, die gekleidet sind in Goldbrokat und Seide; und wenn der König dahinreitet, so eilt ihm ein Läufer voraus und ruft: ›Dies ist der König der hohen Würde, der großen Macht!‹ Und er preist ihn noch ferner in Worten, deren ich mich nicht entsinne, und sagt zum Schluß seiner Verherrlichung: ›Dies ist der König, der die Krone trägt, derengleichen weder Salomo noch auch der Mihrdschan besessen hat.‹ Dann verstummt er, und einer hinter ihm ruft aus: ›Er wird sterben! Und wiederum sage ich, er wird sterben!‹ Und der andere fügt hinzu: ›Preis sei der Vollkommenheit des Lebendigen, der nicht stirbt!‹ Und ferner gibt es um seiner Gerechtigkeit willen keinen Kasi in dieser Stadt, denn all seine Untertanen unterscheiden zwischen Wahrheit und Lüge.‹ Sprach der Kalif: ›Wie groß ist dieser König! Sein Schreiben hat es mir gezeigt; und was die Gewalt seiner Macht angeht, so hast du uns berichtet, was du mit Augen gesehen hast. Bei Allah, er ist mit Weisheit begnadet wie mit Macht.‹ Dann berichtete ich dem Beherrscher der Gläubigen alles, was mir auf meiner letzten Reise widerfahren war. Er staunte aufs höchste und befahl seinen Chronisten, meine Geschichte aufzuzeichnen und zur Erbauung aller, die sie sähen, in seinem Schatz zu hinterlegen. Dann erwies er mir große Gunstbezeugungen, und ich begab mich in mein Quartier und betrat mein Haus, wo ich all meine[443] Waren und meinen ganzen Besitz aufspeicherte. Alsbald aber kamen meine Freunde zu mir, und ich verteilte Geschenke unter den Meinen und gab Almosen und Spenden; und schließlich überließ ich mich dem Genuß und der Freude, der Lust und Heiterkeit, und ich vergaß alles, was ich erduldet hatte. Solches also, o meine Brüder, ist die Geschichte dessen, was mir auf meiner sechsten Reise widerfuhr; und morgen will ich, Inschallah, die Geschichte meiner siebenten und letzten Reise erzählen, die noch wunderbarer und erstaunlicher ist, als die der sechs ersten.‹

(Spricht der, der die Geschichte erzählt:) Dann befahl er, den Tisch zu breiten, und seine Gäste nahmen mit ihm das Nachtmahl ein; und schließlich gab er dem Lastträger wie immer hundert Dinare, und alle gingen ihrer Wege, voll maßlosen Staunens ob dessen, was sie vernommen hatten. Und auch Sindbad der Lastträger ging nach Hause und legte sich wie immer schlafen. Am nächsten Morgen aber stand er auf, betete das Morgengebet und begab sich dann in das Haus seines Namensvetters, wo der Gastgeber, als seine Gäste versammelt waren, zu erzählen begann

Fußnoten

1 Insel Ceylon.


Quelle:
Die schönsten Geschichten aus 1001 Nacht. Leipzig [1914], S. 434-444.
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