Rut's Ehe.

[13] Bald nach seiner Heimkehr ritt Rut zu seinem Bruder und erzählte ihm von seiner Fahrt. Sie sandten Boten an Mörd Gige, er möge sich auf die Hochzeit bereiten, und sechs Wochen vor Winters Anfang, welcher in der Mitte des Monats, den wir October nennen, eintrat, machten sie sich schließlich selbst bereit, zur Hochzeit zu reiten. Sie hatten ein Gefolge von sechzig Mann. Vor ihnen war schon eine Menge von Hochzeitsgästen eingetroffen. Die Männer ließen sich nieder auf den Langbänken längs den Seiten des Hauses, die Frauen setzten sich auf die Querbank oder die Hochbank auf einer Erhöhung an der Giebelseite. Das Fest nahm einen guten Verlauf, aber die Braut sah nicht froh aus. Mörd händigte die Mitgift seiner Tochter aus, und sie ritt mit Rut heim. Auf Rutstad ließ er sein Weib über das ganze Haus walten, so daß niemand sich darüber aufhalten konnte, allein das Verhältniß zwischen ihm und ihr war nicht gut. Im Jahre nach ihrer Hochzeit, als die Zeit des Altings herankam, fragte sie ihn, ob er zum Ting zu reiten gedächte. »Warum fragst Du darnach?« entgegnete er. »Ich möchte gleichfalls zum Ting, um meinen Vater zu sprechen,« antwortete sie. »Dann reiten wir mit einander,« versetzte Rut, und Unne gab sich zufrieden. Als sie zum Ting kamen, ging Unne zur Hütte ihres Vaters. Er empfing sie freundlich, doch meinte er, ihre frühere Fröhlichkeit sei von ihr gewichen. Da brach sie in Thränen aus, jedoch ohne ein Wort zu sagen. »Weshalb kamst Du zum Ting,« schalt Mörd, »wenn Du mir nicht Vertrauen schenken und offen reden willst? Gefällt es Dir etwa nicht dort im Westlande?« »Ich würde meine ganze Habe hingeben, wenn ich nur niemals dorthin gekommen wäre,« sprach sie weinend. »Darin wollen wir bald klar sehen,« sagte Mörd und sandte Männer aus, um Höskuld und Rut zu holen, worauf diese alsbald erschienen. Mörd erhob sich, empfing sie[14] freundlich und hieß sie sich niederlassen. Sie unterredeten sich lange und recht freundschaftlich. Endlich sagte Mörd zu Höskuld: »Was ist es, was meiner Tochter zuwider ist dort im Westlande?« Rut nahm das Wort und sprach: »Selbst möge sie ansagen, ob sie Klage wider mich führen kann.« Indessen wurde nichts derartiges gegen ihn vorgebracht. Da ließ Mörd Rut's Nachbarn und seine Hausgenossen darüber ausfragen, wie er ihr begegne. Diese aber gaben ihm alle ein gutes Zeugniß und sagten aus, sie habe in allen Dingen freien Willen. Schließlich redete Mörd seiner Tochter zu, sie möge mit Rut heimkehren und freundlich gegen ihn sein, »denn,« sagte er, »alle Zeugnisse sprechen besser für ihn als für Dich.« So folgte sie denn Rut vom Ting und während dieses Sommers kamen sie gut mit einander aus. Als aber der Frühling wiederkam, begann der alte Unfrieden auf's neue zwischen ihnen und wurde schlimmer und schlimmer. Im darauffolgenden Sommer ritt Rut nicht zum Ting, denn er beabsichtigte eine Fahrt westwärts nach den Fjorden und segelte ab, ohne daß seine Frau etwas dagegen sagte. Während seiner Abwesenheit aber bewog sie, als die Zeit des Tings heran kam, Össur's Sohn Sigmund dazu, mit ihr zum Ting zu reiten. Ihr Vater Mörd war da; er nahm sie wohl auf und bot ihr während der Dauer des Tings seine Hütte als Aufenthalt an, was sie gern annahm. »Wie bist Du jetzt auf Deinen Gatten Rut zu sprechen?« fragte er sie. Sie antwortete, sie könne nur Gutes von ihm reden, soweit er seinem eigenen Willen folge; es sei aber ein Zauber auf ihn gelegt. Nachdem sie ihm nun auseinandergesetzt hatte, was das gute Verhältniß zwischen ihnen störte, sagte Mörd: »Du hast wohl daran gethan, mir das zu sagen. Jetzt will ich Dir einen Rath geben, der Dir helfen wird, falls Du ihn ausführen kannst, ohne in irgend etwas davon abzuweichen. Erstlich mußt Du vom Ting wieder heimreiten; dann wird Dein Gatte zurückgekehrt sein und Dich wohl empfangen. Du mußt freundlich gegen ihn sein und ihm nach dem Munde reden. Dann wird es ihm scheinen, daß eine Veränderung zum guten stattgefunden hat. Du darfst auch weder Kälte noch Unwillen zeigen. Wenn aber das nächste[15] Frühjahr kommt, mußt Du Dich krank stellen und nicht vom Bette aufstehen. Rut wird nicht darnach forschen, was Dir fehlt oder sich deswegen irgendwie grämen. Vielmehr wird er alle Hausgenossen bitten, Dich so gut wie möglich zu hüten und zu pflegen. Sobald dann die Zeit des Tings naht, wird er nach den Fjorden westwärts segeln gleichwie in diesem Jahre und Sigmund als Begleiter mitnehmen und ebenfalls nicht bis zur Tingzeit zurückkommen. Wenn aber die Männer zum Ting reiten und alle Leute aus euren Thälern fortgezogen sind, dann mußt Du von Deinem Bette aufstehen und einige Männer aufrufen, um Dir zu folgen. Hast Du Dich dann ganz fertig gemacht, dann geh zu Deinem Bette mit den Männern, welche Dich begleiten sollen. Bei dem Bette Deines Gatten mußt Du dann Zeugen berufen und Dich von ihm geschieden erklären durch gesetzliche Scheidung, so wie sie durch Urtheilsspruch des Altings und Gesetz des Landes durchgeführt werden kann. Dieselben Zeugen sollst Du bei der Thür der Männer in deinem Hause berufen und dann fortreiten. Schlage aber nicht den gewöhnlichen Weg hierher ein, denn man wird nach Dir suchen.« Darauf nannte er ihr den Weg, welchen sie nehmen solle. »Reite nur weiter,« fuhr er dann fort, »bis Du zu mir kommst, ich werde die Sache in meine Hand nehmen, so daß Du niemals in Deines Gatten Gewalt kommen sollst.« Mit diesen Rathschlägen kehrte Unne vom Ting heim. Rut war zurückgekehrt und empfing sie wohl. Sie nahm das gut auf und war freundlich gegen ihn und in diesem Jahr bestand ein gutes Verhältniß zwischen ihnen. Als es aber Frühling wurde, schützte sie Krankheit vor und legte sich zu Bett. Rut fuhr nach den Fjorden im Westen, gebot aber vor seiner Abreise, sie wohl zu pflegen. Als die Zeit erschien, wo man zum Ting auszog, machte sie sich bereit, verfuhr in allen Dingen nach dem Rath ihres Vaters und ritt zum Ting. Man suchte sie wohl, indessen ohne sie zu finden. Mörd nahm sie freundlich auf und fragte sie, wie sie seine Rathschläge befolgt habe. »Ich bin in nichts von ihnen abgewichen,« erwiderte sie. Darauf ging sie zum Berg, wo die Gerichtssitzungen gehalten wurden und erklärte sich geschieden von[16] Rut. Die Leute meinten, das sei eine schlechte Sache, die man nimmer erwartet habe; Unne aber zog heim mit ihrem Vater und kam darauf niemals wieder in das Westland.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 13-17.
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