LXXXV. Der spitzfindige Blinde.

[163] Zu Zeiten Alphonsi / des Königes von Arragonien /lebte zu Agrigent / einer Stadt in Sicilien / ein arglistiger blinder Mann / welcher in der Insul hin und her reisend / ohne einigen Geleitsmann / auch unterweilen es scharff sehenden Leuten bevor thate. Als dieser in die fünffhundert Cronen zusammen gebracht hatte /und nicht wüste / was er damit solte anfangen / würde er endlich Rahts / damit sie ihme nicht möchten gestohlen werden / dieselben ins Feld zu vergraben. Als er nun damit umbgienge / ward es sein Gefatter und guter Freund innen: Derselbe gieng darnach hin / grub an[163] dem Orth / den er gemercket / hinein / und nahme das Geld hinweg. Etliche Tag hernach / kame der Blinde wieder dahin / und wolte fühlen / ob sein Geld noch vorhanden wäre / er fand aber nur das ledige Nest / welches ihn gleichsam in Verzweiffelung brachte. Endlich muthmaste er / daß niemand anders /als sein Nachbar und Gefatter ihme dieses hätte mitgespielet / und ward Rahts / ihme mit List zu begegnen. Er führte ihn beyseits und sprach zu ihme: lieber Nachbar! Ich bedarff eures guten Rahts: Ich hab eine Summa Geldes von tausend Kronen / davon habe ich die Helffte an einen sichern Orth verborgen: Ich weiß nicht recht / was ich mit dem übrigen machē solle /weil ich nicht geschickt bin / solche Güter zubewahren / sintemahl ich keinen Stich sehen kan. Dieserwegen / wann ihr es vor rahtsahm befindet / wolte ich diese Helffte zu der andern legen / dann ich wolte alles gerne nach dem Raht meiner guten Freunde handeln. Der Nachbär stellte sich / als liesse er ihme diese Meinung gar wolgefallen: Und damit er dem Blinden allen Argwohn benehme / und die gantze Summa beben könte / lieff er bald darauff zu dem Orth / und steckte das gestohlne Geld wieder hinein. Bald darnach kame der Blinde zu dem verborgenen Orth und als er seine erste Summa wieder fand / nahm er sie mit Freuden / ruffte darnach seinem Nachbarn /und sprach mit lauter Stimme: Gefatter / der Blinde hat heller gesehen / als der zwey Augen hat: Und begabe sich lustig und frölich nach Hause.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 163-164.
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