XCV. Der Hintergangene Wucherer.

[189] Wer einen Juden und einen reichen geitzigen Wucherer listigerweise hintergehet / ist zwar in seinem Gewissen nicht loß gesprochen / aber die Weltliche Obrigkeit dörffte es vor einen Possen achten. Zu Venedig wohnete ein sehr reicher und gewaltig karger Wucherer / Nahmens Diego / und neben ihm wohnete eine fromme Wittebe von gutem Adel sambt ihren zweyen Kindern / einem Sohn und einer Tochter / jener hieß Bernardo und diese Lucretia. Itzt genanter Tochter war überauß schön / aber die Mittel mangelten ihr /daß sie sich nicht nach ihrem Stand verheurahten kunte / sondern sambt ihrer Mutter das Brod durch subtile Hand-Arbeit gewinnen muste / weil sie[189] aber ihres geitzigen Nachbarn / des Diego Tochter / als ihre vertraute Freundin vielfältig besuchte / gewan der alte Geck eine unzeitige Liebe zu Ihr / und hätte gerne von diesem anmuhtigen Wildpräth etwas genossen /dessen er doch gar unwürdig war / gleichwohl hinderte ihn die Furcht grosser Straffe / daß er seine Gedancken eine gute Zeit heimlich hielte / und sich in seinem Hertzen quälete. Immittelst gibt sich ein feiner Adelicher Jüngling bey der Lucretien Mutter an / und weil er seine Nahrung zu Felde in einer ehrlichen Kriegs-Charge suchte / worb er umb die Tochter /welche ihm bald zugeschlagen ward. Die Mutter war nun drauf bedacht / woher sie etwas Geld auff Renten nehmen / und ihre Tochter gebührlich aussteuren möchte. Zu solchem Ende muste Bernardo zu Diego gehen / und ihn umb 1200 Kronen ansprechen / gegen eine übliche Zinse.

Diego hätte der Wittibe sonsten nicht einen Thaler geliehen / aber in Betrachtung der schönen Lucretien /sagte er dem Bernardo nicht allein die begehrte Summa auff 3 Jahr ohne Zinse zu leihen / sondern versprach ihm daneben absonderlich noch 300 Kronen vor seine Persohn / wann er es dahin bringen möchte / daß ihm seine Schwester zu willen wäre. Bernardo gedachte diesen alten Bock rechtschaffen zu putzen / versprach ihm demnach sein bestes / und wie er es dem Vorgeben nach / so weit gebracht / daß er mit Beliebung der Lucretia zu ihr in ihre Schlaffkammer kommen möchte / da zahlete ihm Diego die bedungene Summa der 1500 Kronen. Bernardo hatte dem Bräutigam schon Nachricht hievon gegeben / und verabredet / wie sie den Alten empfangen wolten /aber seine Mutter und Schwester wusten nichts von des Diego Vorsatz und Bedingung. Zwo Stunde in die Nacht hohlet Bernardo den Wucherer[190] ab / führet ihn in den Garten / und lässet ihn an einer Leiter zu der Lucretia Schlaffkammer hinauff stiegen / wie er am Fenster rasselt / und schon halb hinein war / da sprang die Magd aus dem Schlaff / und rieff / Dieb! Dieb! Lucretia und die bey ihr schlaffende Mutter erwacheten dadurch gleichergestalt / und machten noch einen grössern Lärmen / daß demnach auch die Nachbarn zu Beinen kamen / Diego eylete also zurück /und wie er die Leiter wieder betreten / zohe selbige der Bernardo unten auß / daß er oben hinab fiel / und hart verwundet ward. Bernardo machte sich alsobald aus dem Staub / und verfügte sich / verabredet ermassen / zu dem Bräutigam / der die Nachtwache schon zu seinen Diensten hatte / welche den guten Diego alsobald in ihre Corps de Guarde und hernach ins Gefängniß führeten. Wie er vor Gericht kam / muste er sein Vorhaben / nach gedrehter Peinbanck / gestehen /wobey er aber einführte / daß die Lucretia schon in sein Vorhaben eingewilliget / und die Stunde / zu ihr zu kommen benennet hätte. Aber so wol diese / als auch Bernardo schwuren / daß sie von allem nicht die gerinste Wissenschafft gehabt / sondern daß der Diego sehr auff ihn getrungen / biß er ihn solchergestalt hätte hintergehē müssen. Solchem nach ward Diego auff 3 Jahr der Stadt verwiesen / Lucretia behielte die 1200 / Bernardo die 300 Kronen / und jene nahm bald drauff ihren Bräutigam.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 189-191.
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