CXX. Die behende Schneiderin.

[254] Es ist noch nicht gar lange / daß ein Schneider Lion in Franckreich gefangen gesessen / den sein Weib alle Tage zu besuchen / hingangen ist. Zur selbigen Zeit fand sich auch ein reicher Wechsel Herr von Genug in der Gefängnüß: nicht wegen eines Lusters / oder Schulden / sondern etlicher Händel halbet so selbiger Zeit empor giengen / und das Königreich anbetraffen. Dieser ließ gar offt in seiner Kammer / nehend dem Bett / ein schönes Schlagührlein hängen. Des Schneiders Weib / als sie diese Kammer einmahls offen stehen sahe / gieng sie hinein / und stahl dieses ührlein. Der Wechsel-Herr oder Handelsmann gieng bald hernach wieder in seine Kammer: und da er seines ührleins vermisset / suchte er solches hin und wie der /und fragte bey einem und andern darnach / kundt[254] aber nichts davon vernehmen. Der Kerckermeister befihlt /man solte niemand auß dem Hause gehen lassen / biß das überlein gefundē sey. Als man nun allenthalben /sonderlich bey den Gefangenen / nachsuchet / und die Schneiderin sich befürchtet / es möchte auch das visitiren an sie kommen / und das ührlein bey ihr gefunden werden / benebens aber im Zweiffel stehet / ob sie es in das heimliche Gemach werffen / oder / was sie damit thun solle? So resolvirte sie sich / wegen des Gewins / weil das ührlein auffs wenigst 50 Cronen wert gewesen / dasselbe in ihrer Natur / oder vordern Leib zu verbergen: Welches sie auch unvermerckt verbracht. Dieweil aber das ührlein angezogen war /so schlug es zu seiner Zeit in ihrem Leib fünffe. Die dieses höreten / waren wol darüber bestürtzt / und kundten nicht muthmassen / wo es seyn möchte. Man erinnert dessen den Handelsmann / und thut auff ein Neues eine durchgehende Besuchung. Aber das war vergebens. Da / nun eine Stunde vorbey / so schlägt es sechse / und weiß noch niemands / wo das ührlein verborgen seyn müsse. Es gehet daher noch eine Stunde vorbey / und siehe / es schlägt das drittemahl. Endlich wird dessen die Schneiderin bezüchtiget / die es aber starck und beständig läugnete / und erleidet / daß man sie abziehet / und allenthalben bey ihr suchet /aber nichts findet. Als dieses der Kercker- oder Gefangenen Meister gesehen / sprach er: Sie hat sonder zweiffels das ührlein in ihren vordern Leib gethan /man muß da suchen: Aber weil solches entweder einem Wundartzt und Barbirer / oder einer Hebammen gebürte / so war niemand / der sich dessen unterstehen wolte. Man läst einen Wundartzt kommen /welcher mit seinem Instrument / speculum matricis genant / da ist / aber sich dessen nicht bedienet. Dann da er mit gantzem Gewalt / wie sehr sich auch die Schneiderin[255] dessen gewehret / bey ihr nachgesucht /so mercket er ein Ende an dem seidenen Schnürlein /so an dem Uhrlein / und nicht gantz in den Leib kommen war / welches er mit seinem rostro corvino, oder Endtenschnabel / und zugleich auch damit das ührlein / mit aller Anwesenden grosser Verwunderung / heraußziehet / so darauf das Lachen bey ihnen verursachet hat / weiln sie vermeynet / die Schneiderin gehe mit dem Tag schwanger / nachdem sie Stunden gebohren hatte / und insonderheit der obgedachte Genuesische Wechsel-Herr / welcher zu ihr gesagt? Meine Freundin / ich verzeihe es auch; da habt ihr ein Pistolen an Geld / euer Kindheit zu halten / aber kombt nicht mehr wieder. Man hielt dafür daß / wann / an statt des Barbirers oder Wundartztes sich eine verständige Frau darbey befunden / daß sie ihr ein gutes Brühlein gekocht hätte / wie man dann den Frauen / so erst des Kindes genesen seynd / zu thun pfleget. Dann sie es wol verdienet / dieweil sie mehr als zwo Stunden in Kindsnöthen gewesen ist.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 254-256.
Lizenz:
Kategorien: