CCXXIII. Der listig betrogene Advocat.

[488] Soulin war ein berühmter Advocat / so wol wegen seines Verstandes / als seiner Wolredenheit. Man hörete von niemand anders in dem Gerichtlichen Pallast / als von ihm / eden. Darumb beschlossen die Landläuffer / nachdem sie von diesem reden höreten / ihm einen Fallstrick zulegen. Als nun dieser Rahtschluß gemacht / speheten sie zu unterschiedenen mahlen auß / Gelegenheit zuerlangen / wie sie ihn betriegen möchten. Sie erfuhren seines Losaments Gelegenheit /welches nicht weit von den[488] Barfüssern wahre / fehleten aber wol viermahl in ihrem Anschlag. Entlich kam er eines Tags allein mit einem Lackeyen / da sie ihn dann bey S. Andreas der Künsten erkanten / und alsobald fielen ihn drey an / hielten ihn auch eben an demselben Platz auff. Nachdem sie aber kein Geld bey ihm fanden / nahmen sie ihm seinen Mantel von Spanischem Tuch / welcher mit Seiden-Plüsch gefuttert /und noch neu / von grossem Werth war / Soulin über solcher Plünderung sehr bestürtzt / sagte: Ihr Herren /ich bitte euch / mir diese Höffligkeit zu erzeigen / daß / dieweil ihr mir meinen Mantel nehmet / ihr mir denselben zu lösen / und zwar in solchem Preiß / als er wird geschätzet werden / lassen wollet: Sintemahl ihr nirgends so viel darumb bekommen werdet. Wann euch nun mein Vorbringen belieben möchte / wil ich euch morgen das Geld hieher bringen. Als ihn nun die Diebe dergestalt reden höreten / gaben sie ihm dieses zur Antwort / daß er ja nicht fehlen wolte / folgenden Tages umb 6 Uhr sich an eben demselben Platz finden zulassen / da man ihm dann seinen Mantel wieder werde zu kommen lassen / aber / wofern er so kühn seyn / und einen mit sich zum Geleitsman bringen werde / daß / wie sie sein Losament wol wüsten / also würde er nimmermehr wieder in sein Hauß kommen. Soulin / über solchen Dräuworten gantz erschrocken /versprach ihnen auff bestimbte Stund zu erscheinen /doch war er inzwischen gezwungen / ohne Mantel in sein Losament zugehen / welches ihm aber gar unverdäulich vorkam / dann er auff solche weiß tractiret zu werden / nicht gewohnet war. Als er nun zu Hauß ankommen / gab er seinem Weibe keinen Bericht von allem / so vorgangen war / verbott auch seinem Lackeyen / nichts davon zu offenbahren / wie auch geschehen.[489] Den morgenden Tag nimbt er heimlich einen Beutel mit einer ziemlichen Summen Geldes gefüllet /und gehet umb halbsechs auß seinem Hauß / kombt auch auff eben den Platz / da ihm der Mantel abgenommen worden. Daselbsten verzog er / biß er zuletzt umb 6 Uhr einer Kutschen / darinnen drey oder vier vom Adel sassen / gewahr ward: Konte aber ihm auff keinerley Wege einbilden / daß er mit dergleichen Leuten würde zu thun haben. Diese / als sie ihm an besagten Platz stillstehen sahen / liessen alsobald die Kutschen auffhalten / und fragten ihn / ob er eben der sey / welchem man des vorigen Tages einen mit Sammet gefutterten Mantel genommen hätte. Er gibt hierauff zur Antwort / daß er keiner andern Ursachen wegen an diesen Orth kommen wäre / wie er dann auch deshalben das versprochene Geld mit sich gebracht habe. Auff solche Antwort nahet sich einer etwas näher hinzu / und fraget ihn / ob er niemand bey sich hätte / und wo solches geschehe / wär sein Leben in grosser Gefahr. Als er nun / wie er allein wäre / angedeutet / nahm man ihn / und setzte ihn unten in die Kutsche / da verband man ihm die Augen / und inzwischen hielte ihm einer eine Pistohl an die Gurgel / ihm / wann er den geringsten Schrey gethan / den Rest zugeben. Da war nun Saulin sehr bestürtzet / gab sich aber bald wieder zufrieden / als sie ihn / daß ihm kein übels begegnen solte / versicherten / sie lassen hierauff die obere Flügel der Kutschen fallen / und befehlen dem Kutscher fort zueylen. Unterdessen blieb Saulin gleichsam in einer Ohnmacht liegen / weil ihm die Augen zugebunden waren / und er nicht wuste /wohin man ihn führete / zumahl da er sich unter solchen unbekanten Leuten besagtermassen tractiret sahe. Als sie nun durch eine Gasse in die ander gefahren / kommen sie[490] zuletzt in ein grosses schön und hoch erbauetes Hauß / da macht man alsobald das Thor auf / und last sie hinein. Da vermehrete sich nun die Furcht bey Saulin und fieng an des Todes zu erwarten / dann er konte ihm zumahl nicht einbilden /daß er entwischen solte. Man bindet ihm die Augen wieder auff / und führet ihn in einen grossen Saal /daselbsten er die Taffeln bedecket / und mit niedlichen Speisen bestellet fande / darbey war er jedoch sehr erschrocken / sich unter so vielen Leuten / die alle wol bekleidet waren / zusehen / massen er sie vor vornehme Stands-Persohnen hielte. Man redete ihm zu / weil er in guter Gesellschafft wäre / auch allein zu diesem End dahin geführet worden / daß er ihnen die Ehr thun / und mit einer geringen Mahlzeit vorlieb nehmen wolte / er nichts zu fürchten hätte. Dann er konte ihm nicht einbilden / an was vor einem Orth der Stadt er sich befinde / noch in was vor einer Gesellschafft er das Mahl nehmen solte. Inzwischen bringt man die Sachen herbey / die zum Handwaschen gehören / ein jeder nimbt seine Stelle ein / und wann sie auch bey Fürsten gewesen wären / hätte ihnen nicht besser können aufgewartet werden: Saulin aber wird oben an gesetzet / welcher aber keinen grossen Lusten zu essen hatte. Nichts destoweniger / stellet er sich /als wann er esse / und hielt vor das Beste / daß / nachdem er unter den Wölffen wär / er ihr thun nachmache. Nach vollbrachter Mahlzeit / fieng man an Saulin mit gutem Gespräch zu unterhalten und zu fragen /aus was Uhrsachen er nichts gessen hätte / er aber wuste nichts darauf zu antworten. So lang er mit Gespräch aufgehalten ward / nahm einer unter ihnen eine Laute / der andere ein Viol / und machten sich also aufs Essen lustig. Entlich nach langem Gespräch / nahete sich der zu Saulin / der ihm[491] des vorigen Tages den Mantel abgenommen / und fragte ihn / ob er auch das versprochene Geld mit sich bracht hätte: Saulin gab darauf Antwort / daß das Geld allerdings in Bereitschafft wäre / zahlete demnach von Stund an dreyßig Pistoletten (wiewohl der Mantel mehr als viertzig werth war) unten auf des Tisches Ecken. Als solches geschehen / zeigete man ihm eine kleine Kammer /abseits gelegen / und sagte ihm / daß er nach seinem Mantel schauen solte. Saulin war gantz bestürtzt /eine so grosse Menge von Mäntel zu sehen / fieng jedoch wieder an eine Farbe zubekommen / und sich in etwas mehr / als zuvor / zuerholen / er fand seinen Mantel unter andern / begab sich darauf mit aller Ehrerbietung zu seinen Leuten / und vermeinete nicht so wolfeil davon zu kommen. Wie er nun wieder sich nach Hauß begeben wolte / war ihm angemeldet / daß er auch dem Kutscher / der ihn hingeführet / und wieder weg führen wolte / eine Pistolet geben und sein Gelach vor das Nacht-Essen bezahlen muste. Saulin reichte ihnen noch zwey Pistoletten dar / und nahm Uhrlaub von ihnen also bald wird die Kutsche zugerichtet / wie er sich aber darin setzen wolte / band man ihm die Augen wiederumb zu / und führete ihn an eben den Platz / da man ihn aufgefangen hatte /nehmlichen in der Gegend St. Andreas der Künsten /daselbsten Band man ihm die Augen wieder auf / ließ ihn absteigen / überreichte ihm ein kleines Briefflein /unten mit grünem Wachs versiegelt / darinnen mit grossen Buchstaben diese Wort geschrieben waren: Die grosse Zunfft ist hierdurch gangen: Und sprachen zu ihm: Daß / wofern er etwan ihm einer aufstossen /und Leyd zufügen wolte / er nur dieß Paßport zeigen solte / worauf sie ihn unfehlbar würden zufrieden lassen. Saulin nahm auch von diesen[492] seinen Abschied /und hatte sich wol glückseelig zuschätzen / daß er aus ihren Händen entgangen / und mit dem Leben darvon kommen war. Es gieng ihm aber / wie den Schifleuten in Sicilien / wann sie die Enge des Meers nicht wissen: daß


In Scyllam fält / der fliehen wil

Charybdin / und nicht weiß das Ziel.


Dann er hatte seine Geleitsleute kaum gelassen /und sich in die andere Strassen gewendet / da ward er von drey frischen Räubern angefallen / er aber erinnert sich des Brieffs / und gedachte dessen in solcher Begebenheit zu gebrauchen / wie er ihnen dann auch sein Paßport darreichte / es war auch von einem unter ihnen / der ein Diebs Leuchte bey sich trug / gelesen /und als gültig erkant. Worauf Saulin fortwanderte /und unangetast in sein Hauß kam / fand aber sein Weib gantz traurig / alldieweil sie nicht wissen konte / wohin ihr Ehemann kommen wäre / doch war sie so wol als er wieder erfreuet / und bekümmerte sich wenig über den erlittenen Verlust / genug daß er das Leben davon bracht hatte.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 488-493.
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