1.

[137] Wohl haben sie dich alle schon besungen

Und singen dich noch immer an, o Lenz,

Doch da dein Zauber nun auch mich bezwungen,

Meld ich mich auch zur großen Concurrenz.

Doch fürcht ich fast, ich bin dir zu prosaisch,

Aus meinen Versen sprüht kein Fünkchen Geist;

Und denk ich gar an deinen Dichter Kleist,

Klingt meine Sprache mir fast wie Havaisch.
[137]

Kein Veilchenduft versetzt mich in Extase,

Denn ach, ich bin ein Epigone nur;

Nie trank ich Wein aus einem Wasserglase

Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur.

Der Tonfall meiner lyrischen Collegen

Ist mir ein unverstandner Dialect,

Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt

Und meine Muse wallt auf andern Wegen.


Ins Waldversteck verirrt sie sich nur selten,

Die blaue Blume ist ihr längst verblüht;

Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten

Ihr süßer als ein Mährchen durchs Gemüth.

Zur Armuth tritt sie hin und zählt die Groschen,

Ihr rothes Banner pflanzt sie in den Streit,

An ihr Herz schlägt das große Herz der Zeit

Und aller Weltschmerz scheint ihr abgedroschen.


Doch heute singt sie, was ihr längst verboten,

Mir scheint, dein Lächeln hat sie mir behext,

Und unter deine altbekannten Noten

Schreibt sie begeistert einen neuen Text.

Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder,

Ich aber leire meine Lenzmusik,

Und lachend schon vernehm ich die Kritik:

Das denkt und singt ja wie ein Seifensieder!

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 137-138.
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