1.

[4] Wie der Hirsch nach Wasser, lechzet

Meine Seele, Gott, zu dir –

Sie verschmachtet und sie ächzet –

Thränen nur sind Labung mir.

Galle bietet man allein

Dem Verschmachtenden als Wein.


Ueber der Gerechten Weinen

Triumphirt der Thoren Spott,

Denn in ihren Herzen meinen

Alle sie: »Es ist kein Gott!«

Und sie höhnen meine Noth:

»Wo ist nun dein Zebaoth?«


Siehst du Ihn herniederfahren

Von dem Sonnenzelte stracks

Mit bewehrten Seraphschaaren?

Berge schmelzen ein wie Wachs

Vor dem Glanz von seinem Zelt,

Das verdunkelt rings die Welt.


Hagel sprüht sein Wolkenwagen,

Welchen Herolds-Cherubim

Auf des Windes Fittich tragen.

Sturm-Posaune her vor ihm

Bläst und mit dem Blasen trennt

Jeden Dunst am Firmament.


Wer in seinem Schirme sitzet,

In der Allmacht Schatten lebt,

Ist geborgen, wenn es blitzet,

Wo der Ungerechte bebt.

Wie ein Oelbaum in Gewittern

Grünt er, doch die Bösen zittern.

Quelle:
Wilhelm Arent (Hg.), Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig 1885, S. 4.
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