9.

[48] Wir wandeln hier in Finsternissen

Und schaun vergebens nach dem Licht;

Nicht trösten mag uns, was wir wissen

Und was wir können, helfen nicht:

So wickelt ewig auf und ab

Sich Labyrinth aus Labyrinthen,

Und heute sehen wir verschwinden,

Was gestern süße Täuschung gab.


Doch liebt der Stolze seine Irre,

Der Eitle seinen Lügenschein

Und wirret in das Truggewirre

Sich jede Stunde fester ein,

Verschmäht die Wahrheit für Gedicht,

Verschmäht die Flamme für den Schimmer,

Und hascht und sucht und findet immer,

Doch ach! sich selber find't er nicht.
[48]

O du, durch den die Sonnen brennen

Und leuchtend durch die Himmel gehn,

Gott, lehre du mich selbst erkennen

Und meiner Künste Lug verstehn,

O hebe dein demütig Kind

Empor mit deinen Liebesarmen

Und laß sein Herz in dir erwarmen,

Vor dem die Engel Stammler sind.


Aus deines Lichtes reichem Meere

Floß einst ein einziger Tropfen aus

Und zündete die Sternenheere

Und Lampen all im Himmelshaus –

O einen Funken nur für mich!

Nur einen Schimmer von dem Glanze!

Und droben in dem Sternentanze

Mit allen Seligen preis' ich dich.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 48-49.
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