23.

[63] Ich bin so traurig in dem Herzen

Und weiß nicht mehr, wo hin noch her,

In meinem Innern braust von Schmerzen

Ein weites, kaltes wüstes Meer,

Es reißt mich Sehnsucht und Verlangen

Vom Süd zum Nord, vom Ost zum West,

Gleich einem Menschen, der von Schlangen

Im Busen trüg' ein ganzes Nest.


Ich bin so traurig in dem Sinne,

Der sonst so still und freundlich war,

So voll von Gottes süßer Minne,

Von Gottes Licht so hell und klar;

Bei Menschen fühl' ich mich verlassen,

Und einsam faßt mich schlimme Not,

Ich kann mich selber nicht mehr fassen

Und wünsche oft: O wärst du tot!


Denn ach! mein Gott hat mich verlassen,

Weil ich zuerst mich selbst verließ

Und auf des Lebens breite Straßen

Mich töricht gnug verlocken ließ.

Im bunten, gaukelnden Gebrause,

Wo floh es hin, mein altes Glück?

Wie find' ich zu der stillen Klause

Der Kinderunschuld mich zurück?


O du, der in das Land der Nächte

Die Liebe selbst herabgesandt,

Daß sie uns allen Gnade brächte

Und Heilung mit der milden Hand,

Der sie ans harte Kreuz geschlagen,

Mit Dornen blutig sie zerriß,

Daß wir in Sünden nicht verzagen,

Der unerschöpften Huld gewiß.
[63]

Du tröste, was den Trost verloren,

Du richte das Gefallne auf,

Und zu den steilen Himmelstoren

Gib Mut und Licht dem Pilgerlauf.

Du bist die Güte, du die Treue,

Ich bin der Staub, ich bin das Nichts,

Das sehnend lechzt zur heitern Bläue

Des reinen Glücks, des reinen Lichts.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 63-64.
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