Warum ruf' ich?

[221] 1837.


Und rufst du immer Vaterland

Und Freiheit? Will das Herz nicht rasten?

Und doch, wie bald umrollt der Sand

Des Grabes deinen Leichenkasten!

Die nächste Ladung trägst du schon

Geschrieben hell auf weißer Scheitel;

Gedenk' des weisen Salomon,

Gedenk' des Spruches: Alles eitel.


Ja, darum ruf' ich Vaterland

Und Freiheit – dieser Ruf muß bleiben,

Wann lange unsrer Gräber Sand

Und unsern Staub die Winde treiben;

Wann unsrer Namen dünner Schall

Im Zeitensturme längst verklungen,

Sei dieses Namens Widerhall

Von Millionen nachgesungen!


Ja, darum, weil wir gleich dem Schein

Der Morgendämmerung verschweben,

Muß dies die große Sonne sein,

Worin wir blühn, wodurch wir leben;

Drum müssen wir an diesem Bau

Uns hier die Ewigkeit erbauen,

Damit wir aus dem Geistergau

Einst selig können niederschauen.


O Vaterland! Mein Vaterland!

Du heil'ges, das mir Gott gegeben!

Sei alles eitel, alles Tand,

Mein Name nichts und nichts mein Leben –

Du wirst Jahrtausende durchblühn

In deutschen Treuen, deutschen Ehren:

Wir Kurze müssen hinnenziehn,

Doch Liebe wird unsterblich währen.

Quelle:
Ernst Moritz Arndt: Werke. Teil 1: Gedichte, Berlin u.a. 1912, S. 221-222.
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