Rinaldo Rinaldini

[364] Es wollt ein Schneider wandern,

Am Montag in der Fruh,

Begegnet ihm der Teufel,

Hat weder Strümpf noch Schuh':

He, he, du Schneiderg'sell,

Du mußt mit mir in die Höll,

Du mußt uns Teufel kleiden,

Es gehe wie es wöll.


Sobald der Schneider in die Höll kam,

Nahm er seinen Ehlenstab,

Er schlug den Teuflen Buckel voll,

Die Hölle auf und ab:[364]

He, he, du Schneidergesell,

Mußt wieder aus der Höll,

Wir brauchen nicht zu messen;

Es gehe wie es wöll.


Nachdem er all gemessen hat,

Nahm er seine lange Scheer

Und stuzt den Teuflen d' Schwänzlein ab

Sie hüpfen hin und her.

He, he du Schneiderg'sell,

Pack dich nur aus der Höll,

Wir brauchen nicht das Stuzen,

Es gehe wie es wöll.


Da zog er's Bügeleisen raus,

Und warf es in das Feuer,

Er streicht den Teuflen die Falten aus,

Sie schrieen ungeheuer:

He, he du Schneiderg'sell,

Geh du nur aus der Höll,

Wir brauchen nicht zu bügeln,

Es gehe wie es wöll.


Er nahm den Pfriemen aus dem Sack,

Und stach sie in die Köpf,

Er sagt, halt still, ich bin schon da,

So sezt man bei uns Knöpf:

He, he, du Schneiderg'sell,

Geh einmal aus der Höll,

Wir brauchen nicht zu kleiden,

Es geh nun wie es wöll.[365]


Drauf nahm er Nadl und Fingerhut,

Und fängt zu stechen an,

Er flickt den Teufeln die Naslöcher zu.

So eng er immer kan:

He, he, du Schneidergesell,

Pack dich nur aus der Höll,

Wir können nimmer riechen,

Es geh nun wie es wöll.


Darauf fängt er zu schneiden an,

Das Ding hat ziemlich brennt,

Er hat den Teuflen mit Gewalt

Die Ohrlappen aufgetrennt:

He, he, du Schneiderg'sell,

Marschir nur aus der Höll,

Sonst brauchen wir den Bader,

Es geh nun wie es wöll.


Nach diesem kam der Lucifer,

Und sagt: es ist ein Graus,

Kein Teufel hat kein Schwänzerl mehr,

Jagt ihn zur Höll hinaus:

He, he, du Schneiderg'sell,

Pack dich nur aus der Höll,

Wir brauchen keine Kleider,

Es geh nun wie es wöll.


Nachdem er nun hat aufgepackt,

Da war ihm erst recht wohl,

Er hüpft und springet unverzagt,

Lacht sich den Buckel voll,

Ging eilends aus der Höll,

Und blieb ein Schneiderg'sell;[366]

Drum holt der Teufel kein Schneider mehr,

Er stehl so viel er wöll.


Quelle:
Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 2, Stuttgart u.a. 1979, S. 364-367.
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