Achtundzwanzigstes Kapitel

Die Ernte

[215] Die Ernte, die bei schönem trockenen Wetter glücklich angefangen wurde, beschäftigte den Grafen mehrere Wochen ausschließlich, er selbst war gern den ersten Tag eine Stunde lang Vormäher, seine Kraft und seine Kenntnis und seine Wertschätzung des Geschäftes öffentlich zu beweisen. »Wie überfällt mich so liebe vieljährige Erinnerung«, sagte er, »denk ich der Ernte, wie ich als Kind schon die schweren Garben zusammen zu tragen suchte, und sie doch hinter mir herzog, wie ich dann, alles mit durchspielend, mich zu dem Bierfasse setzte und einen Schluck des Getränkes[215] jauchzend leerte, und mir ein kleines Mädchen aufsuchte, daß sie mir einen Strauß mit Silberband schenkte, daß auch ich geschmückt wie jeder Mäher einherziehen könnte; wie ich dann so früh aufwachte, so gerne ich sonst schlief. Wahrlich, die Kindheit aller Menschen gehört aufs Land, kein Mensch sollte seine früheren Jahre in der Stadtmauer zubringen!« So rief der Graf einmal heimkehrend seiner Dolores zu, der die Anstrengung bei diesen sogenannten Freuden, so verhaßt war, daß sie nicht gern den Ernteleuten begegnete, und sie spottend Feldscherer nannte; diesmal kam hinzu, daß der Graf sehr beschmutzt heimkehrte, auch in der Ermüdung dies wenig bemerkte oder verbesserte, dazu endlich die Hitze, welche Tage und Nächte mit Feuer und schreckhaften Gewittern füllte; genug, diese hocherwünschte Zeit war ihr zum Verzweifeln verhaßt, und sie antwortete ihm statt der Beistimmung mit der Bitte, sich zu waschen und umzukleiden, es wäre sonst in seiner Nähe nicht auszuhalten. – Der Graf besah Hände und Stiefeln und fand, daß sie recht hatte; aber die Erinnerung kam so wunderbar in seine Erinnerungen eingekeilt, daß er sich eines kleinen Ausrufs: »Wie gehört das hierher?« nicht erwehren konnte. Überhaupt sei jedermann vorsichtig in einem geliebten Umgange gegen irgend etwas einen Ekel auszudrücken; ist es auch etwas Vorübergehendes, was weggeschafft werden kann, es ist doch eine Störung im Vertrauen, einem geliebten Wesen auch nur für einen Moment ekelhaft gewesen zu sein. Darum ehre ich auch die Gesinnung mancher Mütter, die ihren Widerwillen gegen manche unvermeidliche Unreinlichkeiten der Kinder mit einer freundlichen Ergebung, ja selbst mit einer Art Ehrgefühl, dulden, als sei diese Duldung eine reizende Pflicht. Was aber den Grafen mehr als jene eigne Kränkung beunruhigte, war der Widerwille seiner Dolores dem kleinen Traugott, der nach dem Tode der Mutter immer kränkelte, beizustehen; keine Viertel stunde konnte sie es in seinem Krankenzimmer aushalten, und doch hatte das schöne Kind, wie dies häufig gefunden wird, durch diese krankhafte eine ernste Beziehung auf sich, eine vorreife sehr überraschende Geistesbildung erhalten, so daß man oft glaubte, es spreche nach, wo es tief aus sich gedacht hatte. Der Kleine litt an einem unregelmäßigen kalten Fieber; trat nun der Frost ein, so suchte er die sonnigen Stellen sich auf, wo er ihn ungestört überstehen konnte.[216] Der Graf hatte vergebens seine Frau gebeten, sie möchte doch hindern, daß der Knabe sich nicht auf feuchte Erde lege, sondern ihm eine Matratze oder einen Stuhl nachtragen lassen; die Gräfin vergaß es, sich darum zu bekümmern, und der Kleine mochte niemand bemühen. Er schlich ganz heimlich fort und da ihn niemand auf dem Kirchhofe suchte und der Rasen dort voll Blumen aller Art und sehr weich war, so hatte er dort schon mehrmals sein Fieberlager gehalten, als er auch einmal zufällig auf dem Grabe seiner Mutter einschlief. Nun träumte ihm wunderbar während der Fieberhitze, daß er nach einer Blume greife, die er für herrlich halte, weil sie in Gelb glühete, daß er sie nach kindischer Art essen wolle: denn so versuchen die Kinder alles, was ihnen gefällt; daß aber die Mutter, ganz wie er sie in den letzten Stunden gesehen, die Blume ihm entreiße, und er darüber weine. Er wachte von diesem Weinen auf, und sah, daß er in seinen Händen eine gelbliche Blume trug, die er in der Fieberschwärmerei abgepflückt. Aus Verwunderung darüber brachte er sie nach Hause und zeigte sie dem Grafen, der eben von der Aufsicht über die Ernte heimkehrte. Der Graf erkannte sie bei den ersten Blicken für Belladonna, und riß sie ängstlich dem Kleinen weg mit der Frage, ob er auch noch nicht davon genossen, sie sei sehr giftig, heiße Schöne Frau, nur den tollen Hundsbiß heile sie zuweilen. Der Kleine wurde verwundert und noch blässer, als er war, und der Graf meinte schon, daß seine Besorgnis leider gegründet, als er ihm sehr feierlich seinen Fehler bekannte, gegen sein Verbot auf dem feuchten Erdboden geschlafen zu haben, und dann erzählte er ihm den wunderbaren Traum auf der Mutter Grabe und meinte ganz fest, die Mutter lebe noch. Der Graf nahm den Kleinen mit Liebe in seine Arme und trug ihn schmeichelnd auf sein Zimmer, es war ihm wie bei etwas Wunderbarem zu Mute, wo niemand weiß, was zu tun, wo jeder staunt, unwissend wohin es deute; denn wo so verschlossene Wege sich öffnen, warum soll der Mensch da die gewöhnlichen des Lebens weiter gehen. Seit diesem Tage bemerkte er an dem Kleinen ein eignes Vergnügen den Leuten im Hause das Zukünftige zu sagen; er ließ sich die Hände zeigen und wußte ihnen so ins Herz zu reden, daß sie vor ihm erbebten. Auch die Gräfin hielt ihm die Hand einmal hin, aber der Kleine hatte mit dem Kopfe geschüttelt und nichts sprechen wollen. Kleine Begebenheiten[217] trafen wirklich ein und der Glaube an ihn vermehrte sich im Dorfe so gewaltig, daß selbst des Grafen Ansehen, wenn er auch den Willen dazu gehabt, den Zulauf nicht gehemmt hätte. Unsre Bücher schweigen von dem geheimen Volksglauben, weil die lesenden Stände ihn aufgegeben haben; die nichtlesenden wissen von Thomasius nichts und es vergeht ihnen kaum eine merkwürdige Zeit ohne geglaubte außerordentliche Einwirkung der höheren Kräfte und Erscheinungen, die den Dichtern als eine unterhaltende Täuschung verziehen werden, deren sich aber die Historiker, ungetreu allen ihren Grundsätzen über die Benutzung der Quellen, immerdar noch schämen. Ich erzähle, wie ich die Geschichte empfangen, einzig besorgt, sie nicht zu entstellen. Alonso, der Bruder des kleinen Traugott, kam von Zeit zu Zeit seinen Bruder zu besuchen, aber ihr sonstiges Spiel hatte sich in einen Austausch von Zärtlichkeit und Ehrfurcht aufgelöst; Alonso wagte es nicht mehr mit ihm zu spielen, und Traugott führte ihn mit Tränen an seiner Mutter Grab, wo er ihm von einer Blume erzählte, die nicht giftig wäre und doch gelb, zu der die Sonne wie ein Staub täglich neu fliege und falle, sie schwimme wie eine Wasserlilie auf dem Meere. Wenn Alonso nun fragte, woher er das wisse, so sagte Traugott, die Mutter habe es ihm gesagt. Und wenn er ihn fragte, ob er wohl ein Verlangen nach der Blume habe? »Ei Gott nein«, antwortete er, »zu der bin ich noch lange nicht reif, vor der müßte ich ganz und gar vergehen!«

Der Prediger Frank interessierte sich lebhaft für Traugott; er wollte ihn immer beobachten, aber der Kleine verschloß sich vor ihm wie das Nolimetangere vor jeder unkeuschen Berührung; ja seine Nähe machte dem Kleinen physischen Schmerz. Der Arzt des Fräuleinstifts, der berühmteste der Gegend, kam einen Tag um den andern, aß bei dem Grafen, ging einen Augenblick zu Traugott, fühlte den Puls, besah die Zunge, und versicherte, er sei sehr zufrieden, es werde bald ganz gut werden. – Eines Tages sagte der Knabe, er werde seinen Vater bald sehen, und wirklich kam Waller den Nachmittag aufs Schloß geritten und brachte der Gräfin einen prächtigen, mit einem Helmgefäße in Bronze verzierten Kürassierdegen, den der häßliche Baron in einem der ersten Gefechte erbeutet. Seine Beschreibungen von der Armee waren sehr lächerlich; er hielt sie für eine große Fuchtelmaschine[218] und erzählte, wie der Schweizer vor den Gefechten so herum schleiche und heimlich seine heiligen Bilder mit Segenssprüchen zu hohen Preisen absetze, und wie der Prinzenhofmeister nach der Schlacht unter dem Schutze des Barons eine große Pharaobank auf geschlagen, um den Rest des Geldes an sich zu reißen. Alle Taschen hatte er mit lustigen Soldatenliedern gefüllt, und im Lager hatte er ein großes Puppenspiel gehalten, worin er sich über alle kommandierende Feldherren unter veränderten Namen aufgehalten. »Keine Art von Menschen«, rief er, »hat mehr Sinn für echt lebendige Kunst als gemeine Soldaten, keine so wenig Sinn und Urteil als Offiziere; ihr bißchen Taktik und ihre steifstellige Ehre und ihr schiefer Hut hindern sie einem Spaß gerade in die Augen zu sehen; sie möchten gern recht vornehm fühlen, und da schämen sie sich mit den Soldaten zu lachen, wo sie es nicht kommandiert haben.« – Nach seinen Kindern hatte er weiter kein Verlangen, aber wohl nach seinen Werken, die damals so schnöde aus dem Wagen geworfen. Welcher Schrecken, als ihm der Graf den hohen Turmknopf als ihren gegenwärtigen Ehrensitz zeigte, und ihn fragte, ob er Lust hätte sich da hinaufziehen zu lassen, um die Kugel aufzumachen, und nachzusuchen. Er warf sich schwindelnd an die Erde und glaubte schon oben zu stehen, so stark trieb ihn die Versuchung dahin, er schwor, daß er hinauf müsse, und koste es ihm das Leben. Vergebens stellte ihm der Graf die künftige Unsterblichkeit vor, wenn nach mehreren Jahrhunderten der Kirchenknopf eröffnet würde, vielleicht bliebe er dann allein noch übrig von allen Dichtern; er wollte den Ruhm in seiner Zeit und es mußte alles angeordnet werden, um die Kugel wieder zu eröffnen. Sehr beschäftigt mit diesem Gedanken, bat er sich zu seiner Stärkung ein neues Getränk aus, das allen im Schlosse noch gänzlich unbekannt war, er nannte es einen Brenner und bereitete es selbst. In eine große breite, nicht allzu tiefe Porzellanschale goß er mehrere Flaschen Rum und drückte ein paar Zitronen hinein, dann legte er zwei Degen quer über und auf die Degen große Stücken Zucker; nun bat er die Gräfin die Flüssigkeit mit einem seiner Gedichte anzuzünden. Als die Flamme blau aufloderte, löschte er die Lichter aus, und bald erschienen die Menschen umher wie Geister, nämlich so wie Geister gewöhnlich gedacht werden, farbelos und unbestimmt. Waller durchkreuzte die Luft mit fürchterlichen[219] Beschwörungen, und schrieb Charaktere auf den Boden; jetzt flammte das rötlich gelbe Feuer des Zuckers auf und indem die Gräfin schauderte – sagte Waller, daß alles beendigt, und die Loge geschlossen sei, zündete die Lichter wieder an, blies das geistige Feuer aus, und schenkte rings die Gläser voll. Alle schworen, dies Getränk sei die höchste Erfindung, keiner kannte dessen mächtig berauschende Kraft; auch die Gräfin trank ihr Glas, eigentlich mehr, als ihr gut war. Es ist ungemein reizend, eine schöne Frau sich selber unbewußt von fremder irdischer Kraft höher belebt zu sehen; nur die reine Begeisterung von oben kann noch lieblichere Bewegung und Deutung in ein Gesicht bringen. Der Graf konnte sich nicht satt sehen an der Geliebten; kein Schauspiel hatte ihn je so angezogen als diese schöne Beweglichkeit, der Glanz der Augen, das Hingeben des ganzen Wesens. Da Waller bemerkte, daß niemand seiner achte, stimmte er ein lautes Soldatenlied an, das er kürzlich auf den Brenner gesungen hatte:


Der Mantel ist mein lustig Haus,

Drin ist gewölbt ein Keller,

Da gibt es manchen schönen Schmaus,

Da geht es stets herein, heraus,

Und kostet keinen Heller.


Ein Ofen ist in diesem Haus,

Das ist die Tabakspfeife,

Die macht mir Wölklein weiß und kraus,

Es scheint recht wie ein Blumenstrauß,

Weg ist's, wenn ich nach greife.


Der Brenner ist des Teufels Kost,

Mit Feuer ich ihn locke,

Und für den einzigen Höllentrost

Er alle Feinde niederstoßt,

Zu Dutzend und im Schocke.


Mein Pferdchen, das mit Sprüngen trabt,

Hab ich durch ihn erbeutet,

Wie es mir nun das Herze labt,

Als hätt ich es zum Thron gehabt,

Wenn es die Mähne breitet.[220]


Es ist ein großer Federkrieg

In aller Welt entstanden,

Die hohe Feder wallt zum Sieg

So weit mein Schwert reicht, alles liegt,

Als wüchs es auf dem Sande.


Wir sitzen ab im Städtlein drin,

Die Bürgermädchen schauen,

Die erste faß ich an das Kinn,

Die zweite sieht, daß ich es bin,

Und tut mich lieblich hauen.


Ich laß mir ein klein Zettelein

Von ihrem Ratsherrn schmieren,

Dafür läßt mich ein jeder ein,

Und bringt mir gleich den Krug mit Wein,

Ich und mein Pferd regieren.


Das Mädchen führt uns in den Stall,

Im Stall, da ist es dunkel,

Da leuchtet dann ihr Aug zumal

Wie Sonne über Berg und Tal,

Mit lieblichem Gefunkel.


Das schöne Kind klatscht mir mein Pferd,

Möcht ihm zu fressen geben.

»Nur glühe Kohlen frißt mein Pferd,

Die Augen dein, die sind der Herd;

Dir ist es ganz ergeben.«


Wer das Kommißbrot hat erdacht,

Das war ein guter Reiter,

Das steht uns frei bei Tag und Nacht,

Mein Pferdchen es auch nicht veracht,

Es macht uns fest und heiter.


Während dieses wilden Liedes, das Waller mit allerlei Gebärden akkompagnierte, war der Gräfin, deren Blut sehr bewegt war, so angst geworden vor ihm, daß sie sich furchtsam an den Grafen drückte und endlich fort lief, der Graf ihr nachging, und so blieb Waller ganz allein und trank ruhig bis zum letzten Tropfen alles rein aus. Dann seufzte er und ging zu dem Bette des kranken Traugott,[221] aber statt dessen Leiden mit Liebe und Trost zu mildern, klagte er ihm sein Unglück mit den Papieren. Der Kleine faßte ihn an und sagte, daß er alles lesen könne, was im Kirchenknopfe liege; Waller schimpfte ihn aus, aber er fing an herzusagen, und sagte dem Vater ganze Stücke, die er niemals vorgelesen hatte. Waller nahm diese geheimnisvolle Verbindung ganz ohne Nachdenken auf, holte Papier und Feder, und ließ sich alles wieder diktieren, wovon er keine Abschrift genommen hatte, bildete am Morgen, als alles fertig war, der Gräfin ein, er sei in der Nacht als Nachtwandler hinaufgestiegen und habe die Papiere, die ihm wert, abgeschrieben, und so ritt er ohne Abschied oder Dank von dem Kleinen fort in die weite Welt. Die Gräfin, die nachher von Traugott den Zusammenhang erfuhr, erklärte sich alles aus einem glücklichen Gedächtnisse des Kindes, das dem Vater sonst zugehört, wenn er seine Verse laut nachskandierte, wie das immer seine Gewohnheit war.

Eine Stunde hatte Waller in dem Zimmer seiner verstorbenen Frau zugebracht, das der Graf, wie wir wissen, unverändert gelassen; wie sie an einer kleinen Staffelei in Rötel die Gegend halb aufgezeichnet hatte, so lag noch die Zeichnung, der Rötel, selbst die Semmelkrumen, mit denen sie einiges ausgerieben. Wir erinnern dies, weil es zum Verständnisse eines Liedes notwendig, das der Graf und die Gräfin, einige Tage nach dieser letzten Abreise Wallers, von ihm in eine Glasscheibe mit einem Demanten eingekratzt fanden:


Lichte Streifen von dem Himmel

Leicht zur Erde niederwallen;

Will das Licht die Saiten stimmen?

Will ein Regen niederfallen?

Eilend ist meine Streiferei,

Wo das Paradies wohl sei.


Viele dichte Dornenhecken

Sollen es der Welt verschließen,

Tausend Vögel drinnen stecken,

Tausend Bäche rauschend fließen;

Eilend ist meine Streiferei,

Wo das Paradies wohl sei.[222]


Wie viel tausend rote Blicke

In dem grünen Klee hier winken,

Winkt ihr mir zu meinem Glücke,

Blumen, die im Grün ertrinken?

Endet hier meine Streiferei,

Wo das Paradies wohl sei?


Zwei Kaninchen auf zwei Beinen

Sitzen da an einem Blatte,

Während sie's zu fressen scheinen,

Sie sich recht geküsset hatten;

Liebet ihr euch im Ehestand,

Nehmet mich auf in dem sel'gen Land.


»Mit den Kaninchen sind wir gemeint«, sagte die Gräfin.


Freundlich mich die beiden laden,

Doch sie beide mein vergessen,

Und was könnt ich ihnen schaden,

Wäre ich auch zu vermessen;

Gnädig sind wohl die Grafen hier,

Aber die Liebe ward nicht mir.


Seht, der Wind kommt wie verschlafen,

Der der Erde Teppich kehrt,

Will den Staub zusammen raffen

Und sich gar an mich nicht kehrt;

Höflich ist nicht die Dienerei,

Wenn's das Paradies auch sei.


»Da bekommen deine Mägde auch ihr Teil«, sagte der Graf.


Von dem höchsten Apfelbaume

Schüttelt Wind die Früchte alle,

Weckt ein Kindlein aus dem Traume

Mit der harten Früchte Falle;

Wärest du mein, die Streiferei,

Wäre voll Geschrei dabei.


»Da hat Traugott wieder im Grase gelegen«, sagte der Graf.


Dieses Kind, das sollt ich kennen,

Auch der Bäume Schattenrisse,

Doch die Regenstreifen rennen,[223]

Herz und Himmel sind zerrissen,

Traurig wird meine Streiferei,

Wo das Paradies wohl sei.


Kindlein, bist du hier alleine?

»Ganz alleine mutterselig!«

Und was willst du damit meinen;

Ist die schöne Mutter selig?

Seit die Menschen sind verstört,

Ist das Paradies betört.


Eine Ziege kommt gesprungen,

Aus dem Euter Milch verlieret,

Ist vom Blumenkranz umschlungen

Und sie frißt ihn, der sie zieret:

Traurig ist meine Streiferei,

Wo das Paradies wohl sei.


»Die Ziege hast du ihm teuer genug bezahlt«, sagte die Gräfin.


Diese Wiesen, diese Gänge

Wandelt ich in Liebchens Schatten,

Durch des Morgens schöne Klänge

In dem zärtlichen Ermatten,

Und wie ist es mir bewährt,

Auch das war der Müh nicht wert.


Langeweile gähnt in Blumen,

Nichts zum Trinken, nichts zum Schmause,

Von dem Zeichnen Semmelkrumen

In dem bunten Frühlingshause;

Ach und ich weiß es nun aufs Haar,

Wo das Paradies einst war.


Offen stehn die Paradiese,

Und ich stehe drin verlassen,

Ewigkeit, die sie verhießen,

Würd ich ohne Kunst doch hassen,

Ach und ich fühl es nun bewährt,

Dieses war der Müh nicht wert.


Wie mit geflügelten Heuschrecken ziehend

Über die dürr zerfressenen Halme,[224]

Zieh ich mit dem Heere glühend,

Daß ich die Wurzeln des Grüns zermalme,

Such ich in ew'ger Streiferei,

Wo das Ende der Welt wohl sei.


»Sollte man nicht glauben, er wär in der größten Verzweifelung über den Verlust seiner Frau, und hätte sich deswegen zur Armee begeben; wenn wir nicht alles ganz anders wüßten, wir müßten dran glauben«, sagte der Graf. – »Aber was will er mit der unhöflichen Aufnahme sagen?« fragte die Gräfin. »Liebe Dolores«, antwortete der Graf, »das kann wahr sein, wo die Frau sich um nichts bekümmert, werden Bediente leicht unhöflich; mir ist es wie jedem Manne unerträglich, mich um so etwas zu kümmern.« – »Ich will schon Ordnung stiften«, meinte die Gräfin.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 215-225.
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