Neuntes Bild

[701] Kaum gestattete sich der Alte die Zeit, alles zu vernehmen, was seiner Tochter geschehen, die Frau mahnte ihn zur Arbeit, sie war ehrfurchtsvoll dem Käfig entlassen und saß auf seiner Schulter, auf seinem Tintenfasse, auf seiner Feder, daß er nicht bei den Liebkosungen der Tochter das Schreiben unterlasse. Umsonst führte diese den Vater zu weiten Aussichten in Prachtzimmer, umsonst zeigte sie ihm den reichen Garten, der Alte schrieb gehend, stehend, sitzend, so wie sich seine Gedanken klar machten und verdrängten. Die Tochter wußte aber die Gefahr, daß er sich ihrer Liebe und der Welt entzöge, wenn er seine Arbeit beendigt habe, und da diese rasch fortrückte, so ersann sie einen Kunstgriff:


Unermüdet schreibt der Alte,

Schaut begeistert in die Welt,

Sieht nicht, wie die Tochter walte,

Nur sein Werk ihm wohlgefällt.

Wenn er nun ein Blatt geschrieben,[701]

Wirft's die Tochter heimlich fort,

Daß es in den Strom getrieben

Und erloschen jedes Wort.

So der Alte unermüdlich,

Ohne zürnen, ohne Groll,

Schreibt von neuem still und friedlich,

Doch sein Werk wird nimmer voll.


Als nun die Sonne an die Erde gestoßen und in tausend Sterne zersprungen war, da sank der Alte ermüdet auf seinen Schreibstuhl, sein Mund öffnete sich, der goldne Vogel entfloh singend dem Munde, und flog in den Jasminenbusch, wo der silberne Vogel sein harrte, wo dann große Freude zwischen ihnen war, und tausend Bitten der Mutter kund wurden, die Arbeit bald zu enden. Aber auch der König dachte bei der Lust der guten Vögel, daß er seine Vermählung, seinen Einzug in die Hauptstadt beschleunigen müsse und ordnete alles zum andern Tage. – Er begann den Zug auf einem schwarzen Rosse, ihm folgten die Grafen, dann folgte die Königin auf weißem, sicheren Rößlein, umgeben von den Gräfinnen, den Zug schlossen die Meistersänger, welche zu Pferde den Wagen umgaben, in welchem der Alte saß und schrieb, das Vöglein auf seiner linken Hand tragend. Das Volk strömte mit Jubel entgegen, küßte den Ankommenden die Steigbügel jeder atmete wieder frei auf; so ging der Zug zur Kathedrale auf der Anhöhe, wo wir hier noch jetzt den vielen Bauschutt auf dem Weinberge finden, dort wurde die schöne Braut durch die Hand des Priesters dem Könige feierlich vermählt. Dies zeigt das Bild.

Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 1, München 1962–1965, S. 701-702.
Lizenz:
Kategorien: