6.
Florian in Floribus.

[39] Florian suchte im Ort etwas zu verdienen, es gelang ihm aber selten. Er wollte nämlich bloß auf seinem Handwerke oder sonst in einem angesehenen Geschäft arbeiten, die Feldarbeit hielt er unter seiner Würde; lieber wäre er Hungers gestorben, ehe er, wie andere vermögenslose Menschen, Steine auf der Straße geschlagen hätte.

Florian wollte nur das thun, was er gerne that, und das können doch die wenigsten Menschen durchführen.[39]

Es ergab sich indeß bald eine Gelegenheit, wobei Florian Geld und nach seiner Art hohe Ehre gewann.

Der Hammeltanz war nahe, große Vorbereitungen wurden dafür getroffen. Der Adlerwirth hatte sich mit Florian und seinen Kameraden wieder ausgesöhnt, denn als Wirth war er Diplomat genug, um den einmal erlittenen Verlust durch den Auszug der Geometer nicht noch durch Ortsfeindschaft zu verdoppeln.

Florian schlachtete nun für Kaspar ein Rind und ein Schwein; letzteres auf der Straße, so daß alle Leute bei ihn: stehen blieben und dem stinken Burschen zusahen, der in seiner Handwerksthätigkeit allerdings ganz herrlich anzuschauen war. Die Muskeln an seinen bloßen Armen waren so straff und schön, daß man sagen konnte, die Herrschaft über das Leben der Thiere strotzte darin. Er wetzte das Messer mit drei Strichen auf dem Stahl so scharf, daß er ein flatterndes Haar damit durchschneiden konnte. Besonders aber als es an das Würstehäckeln ging, stand immer ein großer Kreis von Gaffern um ihn her. Florian häckelte mit zwei Beilen, die er so leicht handhabte wie ein Trommler seine Schlägel; auch pfiff er dabei die schönsten Ländler und schlug den Takt dazu. Manchmal machte er sich noch einen besonderen Spaß. Er warf eines der Beile hoch in[40] die Luft, häckelte mit dem andern ununterbrochen fort, schnalzte mit der leeren Hand, fing das Beil am Stiele wieder auf und häckelte dann im Takte weiter. Alles schlug die Hände vor Verwunderung zusammen.

Der alte Metzgerle sammelte sich den Ruhm seines Sohnes als Nachtisch zu dem Kesselfleisch, das er genossen; bei dem Schmiedjörgli hielt er sich wieder besonders lang auf: »Ich bin doch ein geschlagener Mann,« sagte dieser, »daß meine Unterthanen mir nicht mehr folgen, da muß ich jetzt hocken und muß sehen, wie Alles zu dem Florian hinaufrennt und ihm zuguckt. Ich gäb' einen Dreibätzner drum, wenn er da neben mir schlachten thät.«

»Ja,« ergänzte der alte Metzgerle und rieb sich die Hände, »der Hofmetzger in Stuttgart kann's nicht wie mein Florian. Er hat einmal in Straßburg mit seinen Kameraden gewettet, er woll' vier Kälber und zwei Säu ganz herrichten ohne das kleinste Mösle1 an seine Kleider zu bringen – und richtig, er hat's fertig bracht, und sein Schurz und sein Hemd waren noch grad wie der gefallene Schnee.«

Florian hatte nun bei allen Leuten so viel zu thun, daß er Tag und Nacht nicht zur Ruhe kam und am Sonntag des Hammeltanzes die Morgenkirche verschlief.[41]

Creszenz hatte dem Geometer eine Zusammenkunft in Egelsthal versprochen, es gelang aber Florian leicht, sie davon abwendig zu machen.

Nach der Mittagskirche war Jubel im ganzen Dorfe. Auf dem Schloßhofe waren Pfähle in einem Kreise aufgesteckt, um die ein Seil gebunden war. In der Mitte des Kreises stand ein schöner Hammel mit einem rothen Bande geziert, auf dem Tische daneben stand eine blinkende zinnerne Schüssel. Die Musik ging voraus; ein jeder der Burschen, sein Mädchen an der Hand, hinterdrein.

An dem Schloßthor war eine Schlaguhr angebracht, und zwar so, daß man sie nicht sehen konnte. Punkt zwei begann der »Freitanz.« Die Musik spielte einen Marsch, die Paare gingen in strenger Ordnung rings um das Seil. Ein alterthümlicher Säbel war in einen Pfosten gehackt, einer der Burschen nach dem andern zog ihn heraus und hackte ihn den nächstfolgenden Pfosten. Als Florian mit Creszenz an den Säbel gelangte, stellte er die Waffe aufrecht auf seine unteren Zähne und schritt so lange ohne zu wanken bis zur nächsten Station. Ein allgemeines »Gucket au!« lohnte diese Keckheit. Die Leichkäther prophezeite, daß Florian den Hammel gewinne. So wandelte nun Alles im Kreise, jubelnd und lachend. Als Florian den Säbel wieder in der Hand hielt, schlug es plötzlich drei. Ein allgemeines[42] »Hoch!« erscholl. Das Seil wurde eingerissen und dem Florian der Hammel, das Band und die Schlüssel gebracht. Die Mädchen kamen herbei, glückwünschten der Creszenz und flochten ihr das neue Band in das Haar. »Jetzt ist es g'wiß, ihr krieget euch dieß Jahr,« sagte des Melchiors Lenorle. Creszenz aber sah ihren Vater, der mit geballter Faust vor ihr stand; sie weinte.

Mit Musik zog man nun in das Wirthshaus, Florian begann mit Creszenz den ersten Tanz.

Der Buchmaier hatte als Schultheiß eine alte Sitte wieder erneuert. Er beorderte weder den Schützen noch einen Landjäger als Ordnungshalter zum Tanze. Am Vorabende hatte er alle Burschen, die das achtzehnte Jahr zurückgelegt hatten, zusammenkommen und sie zwei sogenannte »Tanzburschen« wählen lassen. Constantin und des Zimmermann Valentins Xaver erhielten die meisten »Kuren,«2 der dritte sollte der sein, der den Hammel gewänne; der Schultheiß hatte sich nur vorbehalten, falls einer der Gewählten der Glückliche wäre, noch einen aus eigener Machtvollkommenheit zu ernennen. Nun war Florian der dritte Tanzbursche, der, wie die anderen, ein weißes Band um den linken Arm erhielt. Die Drei mußten für die Aufrechthaltung der Ordnung bürgen, jede Störung fiel ihnen zur Last; es kam aber keine[43] vor, denn die Leute lassen sich am liebsten von denen aus ihrer Mitte regieren.

Creszenz war ganz glückselig, sie vergaß den Geometer vollends. So schön als Florian konnte Keiner tanzen, selbst der Jörgli nicht; er schlug immer im Takte die Füße zusammen, so daß Aller Blicke auf seine schöngewichsten Stöckelstiefel gerichtet waren. Dann rief er manchmal mitten aus dem Tanze heraus: Hellauf! Sein ganzes Wesen hob und bewegte sich nach dem Tone der Musik; er war ein ganzer Tänzer. Er wollte keine Minute ruhen, und als die Musik eine Weile aushielt, trat er zu dem Klarinettisten und sagte: »Laß' dein dürr Holz rappeln,« worauf der Musikant erwiderte: »Laß was einschenken, daß es quillt.« Florian warf einen Sechsbätzner auf den Tisch.

Spät in der Nacht wurde der »Balbiererstanz« ausgeführt, bei dem Florian in seinem vollen Glanze er schien. Es wurde nämlich ein Mensch hereingebracht, der schneeweiß aussah, vorn und hinten einen Höcker hatte und überall mit weißen Tüchern verbunden war; man konnte den Studentle gar nicht mehr erkennen. Die Musik spielte die Weise zu dem Lied:


Hol' mir den Balbierersknecht,

's ist mir jo gar et reacht.


Ein Stuhl wurde in die Mitte des Saales[44] gestellt und der Kranke darauf gesetzt. Der ersehnte Arzt kam herbei, um und um mit Messern behangen, eine große Klammerbrille auf der Nase und eine Perrücke von Werg auf dem Kopfe. Ein schallendes Gelächter begrüßte den Eintretenden, es war Florian.

Mit possirlichen Sprüngen tanzte er um den Kranken herum, fühlte ihm den Puls, öffnete den Verband am Arme, ließ zur Ader und steckte endlich ein Messer in den Höcker und ließ es darin. Der Kranke fiel todt zu Boden, die Musik ertönte in dumpfen Klagen. Der Arzt sprang verzweifelnd in der Stube umher, raufte sich ganze Ballen seiner Perrücke aus und warf sie den Leuten ins Gesicht; die Musik verstummte. Endlich, die Hand an die Stirne legend, besann sich der Gequälte und rief: »Musik!« Wiederum Klagetöne. Er kniete zu dem Kranken nieder, riß ihm den Mund auf und zog unaufhörlich weiße Bändel heraus; aber immer noch lag der Kranke leblos. Jetzt nahm der Arzt ein großes Schoppenglas, füllte es bis an den Rand mit Wein, stellte es auf seine Stirne und legte sich nach dem Takte der Musik neben den Kranken rücklings auf den Boden. Alles hielt den Athem an ob dieses schweren Kunststückes, aber es gelang. Nun wurde dem Patienten das volle Glas bis auf die Neige eingegossen, er schlug um sich, warf die Vermummung ab, Florian that desgleichen, die Musik[45] spielte wieder einen Hopser, des alten Schultheißen Bäbele kam herbeigesprungen und tanzte mit Constantin, Creszenz mit Florian; Alles war wieder munter und wohlauf.

Man hatte mitten in der Lust mit dem Uebel und der Trauer gespielt, in erneutem Freudejauchzen lebte man wieder auf.

Als man sich eine Weile zu Tische setzte, trank und sang, gab Florian ein neues Lied zum Besten, das er aus der Fremde mitgebracht hatte; es lautete:


Zu Straßburg auf der Schanze,

Hatte mich ein Mädchen lieb,

Es bracht' mir alle Morgen

Einen Kaffee und einen Brief.


Den Brief hab' ich erhalten,

Den Kaffee aber nicht,

Darinnen stand geschrieben:

Der Winter ist vor der Thür.


Der Winter und der ist kommen,

Die Meister werden stolz,

Sie sprechen zu den Gesellen:

Geh' 'naus und spalt mir's Holz.


Spalt es mir nicht zu grobe,

Spalt es mir nicht zu rein,

So kannst du diesen Winter

Mein treu' Geselle sein.
[46]

Der Winter und der ist ume,

Die Gesellen werden's frisch,

Sie nehmen Stock und Degen

Und treten vor Meisters Tisch.


»Ach Meister, wir wollen's rechnen,

Es ist die schönste Zeit,

Du hast uns diesen Winter,

Mit Sauerkraut gespeist.«


»Ist dir das Brod zu schwarze,

Ich laß es backen weiß,

Ist dir dein Bett zu harte –«


Hier kamen Verse, über die leider weder Creszenz noch sonst eines der Mädchen erröthete, vielmehr jubelte Alles von Neuem.

Wer mag nun zweifeln, daß Florian der erste Bursch' im Dorfe war?

Als aber Creszenz nach Hause kam, mußte sie schwer dafür büßen, daß sie heute die erste Rolle gespielt hatte; die Mutter war krank und der Vater besaß nun alle Macht im Hause. Creszenz duldete ohne Murren, sie wußte jetzt sicher, daß sie mit Florian vereinigt würde; hatten sie ja gemeinsam den Preis gewonnen.

1

Mos, so viel als Flecken.

2

Kuren, so viel als Wahlstimmen, noch immer gebräuchlich.

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 2, Stuttgart 1863, S. 39-48.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Dritter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Zehnter Band
Schwarzwälder Dorfgeschichten: Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Rainer Moritz
Schwarzwälder Dorfgeschichten. Neue Volksausgabe.

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon