Ein Kind bleibt, und ein Kind geht.

[121] Als Luzian nach Hause kam, trat ihm Bäbi entgegen mit den Worten: »Vater, Ihr sollet gleich in's Rößle kommen, es ist schon zweimal ein Bot' da gewesen, es sei Jemand da, der nöthig mit Euch zu reden hat.«

»Wer denn?«

»Des Rößleswirths Bub' weiß es nicht, oder will's nicht sagen.«

Luzian ging nach dem Wirthshause. Er traf hier den Vater Paule's von Althengstfeld, der hinter dem Tische saß und ihm zuwinkte ohne aufzustehen und ohne die Hand zu reichen.

»So? bist Du auch hier?« fragte Luzian, »hast Du mich rufen lassen?«

»Ja. Rößleswirth! Ist Niemand in deiner hintern Stube? Ich hab' da mit dem Luzian ein paar Worte zu reden. Können wir 'nein?«

»Ja.«

»Was hast denn? Kannst's nicht da ausmachen? Oder komm' mit mir heim,« sagte Luzian.

»Nein,« entgegnete Medard, »es ist gleich geschehen.«

Die beiden Schwäher gingen nach der Hinterstube; alle Anwesenden schauten ihnen nach.

»Was giebt's denn so Heimliches?« fragte Luzian.[121]

»Gar nichts Heimliches. Du weißt, ich bin frei 'raus, drum, Luzian, guck, du bist jetzt im Kirchenbann und vielleicht noch mehr, du kommst mit denen Sachen nicht so bald 'raus, wie mir unser Pfarrer gesagt hat und die Pfarrer alle, die heut dagewesen sind. Drum wird dir's auch recht sein, wenn man jetzt ausspannt.«

»Ja wie? was?«

»Ha, du verstehst mich schon. Mit deinem Mädle und mit meinem Paule da lassen wir's jetzt halt aus sein. Wir sind von je gut Freund gewesen, Luzian, nicht wahr! Und das bleiben wir von deßwegen doch. Es ist ja Christenpflicht, daß man keinen Hasard auf einander hat und Alles in Gutem bleibt.«

»Ja, ja, freilich, ja,« sagte Luzian, die Hände reibend, »und was ich hab' sagen wollen? ... Ja, und dein Paule ist auch mit einverstanden? Du redest in seinem Namen?«

»Ha, ich bin ja der Vater. Ich lass' mich nicht ausziehen, ehe ich mich in's Bett leg', das Sach' ist mein und ich geb' die Geißel noch nicht aus der Hand, du auch nicht. Was wahr ist, ist wahr; mein Paule hat dein Mädle gern gehabt, ja rechtschaffen gern, es ist ihm hart 'nangangen. Er hat dem Pfarrer aber bestanden, dein Mädle sei wie ausgewechselt, es hab' ihm kein gut Wort mehr gunnt, und es hab' halt auch Deine Gedanken Luzian. Recht so, ist ganz in der Ordnung; die Kinder müssen zum Vater halten und mein Paule hält zu mir. Du hast ja selber gewollt, daß wir keinen Reukauf ausbedingen, und Schriftliches[122] haben wir auch nichts gemacht, da brauchen wir auch nichts verreißen. Mein Bub hat deinem Mädle einen silbernen Fingerring geben, er hat zwei Gulden und fünfzehn Kreuzer kostet, kannst nachfragen beim Silberschmied Hübner neben der Oberamtei. Jetzt kannst den Fingerring wieder 'rausgeben, oder es ist besser du giebst das Geld, hernach kann ihn dein Mädle behalten; kannst das Geld dem Rößleswirth da geben, ich bin ihm noch was schuldig für Kleesamen. Dein Mädle, das bringst du schon noch an, brauchst's nicht in Rauch aufhängen, und mein Bub der setzt den Hut auf die link' Seite und ist der alt'. Es hat halt jetzt den Schick nimmer zwischen unsern Kindern, und es wär' gegen Gott gesündigt, wenn man da wieder was anhäfteln wollt'. Jetzt wie? was siehst du so unleidig? Stehst ja da wie ein Stock und machst kein Gleich (Gelenk)? Hab' ich dich verzürnt?«

Luzian war in der That wie erstarrt, er ließ den Metard an sich hinreden und hörte Alles wie im Halbschlaf; der Schweiß trat ihm vor ängstlichen Gedanken auf die Stirn; er nickte endlich und sagte: »Ja, Metard, ich schick' dir den Fingerring gleich 'rauf', kannst drauf warten.«

»Pressirt nicht so. Jetzt sei mir nicht bös, bei dir ist gleich dem Himmel der Boden aus. Wir bleiben doch die alten guten Freund', nicht wahr?«

»Das Kind ist todt, die Gevatterschaft hat ein End'.«

Mit diesen Worten verließ Luzian die Kammer und trat in die Wirthsstube. Neugierig richteten sich die[123] Blicke Aller auf ihn; er sah verstört aus. Mit seltsamem Lächeln sagte Luzian: »Rößleswirth, weißt was Neues? Mein Bäbi ist kein' Hochzeiterin mehr. Grad hat mir der Metard aufgesagt.«

»Es wird doch das nicht sein?« tröstete der Wirth.

»Frag' nur den Metard,« endete Luzian, die Thür in der Hand, und fort war er.

Luzian hatte sich eingebildet, er sei auf Alles gefaßt und doch überraschte ihn dieser Zwischenfall so, daß er nicht wußte, wo aus noch ein. Offen gestanden dachte er im ersten Eindruck fast gar nicht an seine Tochter, sondern nur an sich selbst. Hatte er seine Ehre verloren? Wo war landauf und landab ein Bauersmann, der sich's nicht zur Ehre angerechnet hätte, mit ihm verschwägert zu sein? – Darum hatte er noch die Aussage selbst verkündet, die Schande sollte zurückfallen auf Metard, er warf sie zurück mit dem ganzen Stolz seines Ansehens; aber galt dies auch noch? Kämpfte er nicht mit leerer Hand, während er die zweischneidige Waffe sich in die Faust träumte?

Im wilden Ringen des Kampfes reißest du dir oft eine Wunde, du weißt es nicht, bis nach ausgetobtem Streite das Rinnen des Blutes und der Schmerz dich daran mahnt. Kein Pflaster und keine Salbe stillt das Blut, wenn nicht das ausgetretene gerinnt und stockt, und so sich selbst die schützende Decke zur Wahrung des in dir strömenden bildet. Es geht mit den Wunden deiner Seele ebenso.

Müd und schwer, als ob ihm ein Schleiftrog an den Beinen läge, ging Luzian nach Hause.[124]

»Ist es wahr? ist mein Schwäher im Rößle?« Mit diesen Worten kam ihm Bäbi wiederum entgegen.

»Dein Schwäher? Nein, aber des Paule's Vater,« entgegnete Luzian. »Komm her Bäbi, gieb mir dein' Hand, brauchst nicht zittern, du sollst weiter nichts als den Fingerring abthun, du bist kein' Hochzeiterin mehr; der Paule hat dir aufgesagt. Meine Händel mit dem Pfarrer sollen dran Schuld sein, oder hast du auch was mit dem Paule gehabt? Es ist jetzt eins. Du bist schon noch eine Weile bei uns gut aufgehoben. Zitter' nur nicht so.«

»Ich zittere ja nicht,« entgegnete Bäbi; es war ihr gar wundersam zu Muthe, noch nie hatte ihr Vater so ihre Hand gefaßt und gehalten, »ich zittere nicht,« wiederholte sie, »lasset nur los, ich will den Ring abethun.«

»Thut dir's weh? Es ist doch eigentlich meinetwegen.«

»Nein, das ist's nicht, und wenn's auch wär', mein' Hand könnte ich mir für Euch abnehmen lassen, Vater, und nicht nur so einen Ring abethun. Wenn mich der Paule nimmer mag, hat er mich nie gemögt; ich bin ihm nicht bös. Und die Schand' wird auch noch zu ertragen sein.«

»Du kriegst schon noch den Mann, der dir bescheert ist,« sagte Luzian, ohne durch irgend eine Liebkosung oder ein freundliches Wort die gepreßte Rede Bäbi's zu erwidern. Diese aber schloß: »Mein lediger Leib ist mir nicht feil. Da ist der Ring.«

»Der Knochen, der einem bescheert ist, den trägt kein' Katz' davon,« bemerkt noch die Ahne.[125]

»Wo ist der Victor? Er soll den Ring gleich in's Rößle tragen,« sagte Luzian. Die drei Frauen sahen einander verlegen an. Die Frau Margret nahm sich zuerst ein Herz, faßte den Rockärmel ihres Mannes, zog daran und sagte: »Thu zuerst den Rock aus, du läufst ja den ganzen Tag 'rum wie ein Soldat auf dem Posten. So, jetzt ist dir's leichter, so, jetzt setz' dich auch, daß man auch ordentlich mit dir reden kann.«

»Wo ist der Victor? Ruf' ihn,« wiederholte Luzian.

Die Frau hing den Rock auf und sagte dabei: »Er hört mich nicht, ich kann nicht so arg schreien; er ist auf der Mühle.«

»Der Egidi hat ihn geholt und der Victor hat geheult,« ergänzte Bäbi.

»Jetzt seid Alle still, ich will's erzählen,« begann die Ahne, »da, rück' her Luzian, noch näher. Jetzt guck, du bist noch kein' Büchsenschuß weit vom Haus weg, da kommt der Egidi und fragt nach dir, aber mit einem Gesicht wie ein Bub', dem die Hühner sein Butterbrod weggefressen haben; und da träppelt er 'rum und kann das Maul nicht finden. Endlich sagt er, ob wir schon gehört haben, was die Leut' von dir reden; ich sag', du kannst den Leuten die Mäuler nicht verbinden.«

»Was sagen sie denn über mich?« fragte Luzian.

»Du seist gottloser als ein Heid und ein Jud, und du habest gar kein' Religion. Ich sag' aber dem Eigidi: deines Vaters seine Gutthaten sind seine Religion und das ist die best'! Da schreit er über mich 'nein wie ein Flözer; und ich sei auch so, und ich stehe doch mit[126] einem Fuß im Grab, und ich wiss' nicht, wann ich vor Gott stünd', und ich sollt' dich Luzian eher zurückhalten als noch aufstiften und drein hetzen. Wenn ich mich nicht vor mir selber geschämt hätt', ich hätt' dem Egidi eins in's Gesicht geschlagen, daß er nimmer gefragt hätt', wo sind mehr. Ich sag' weiter nichts als: junge Gäns' haben große Mäuler. Wie wir so reden, kommt der Victor 'rein, ich schick' ihn fort, er soll nicht hören was sein Vater für ein Latschi ist. Eine Weile drauf kommt der Schütz und bietet dem Egidi, er soll in's Pfarrhaus kommen. Ich sag': du gehst nicht zum Pfarrer, eher läß'st dir all' beid Bein abhacken. Da schlägt er auf den Tisch und schreit: ich bin Meister über mich, und ich thu' was ich will. Wart Schütz, ich geh mit. Mein Vater ist mein Vater, aber unser Herrgott ist vorher mein Vater, und ich lass' mir meinen Glauben nicht nehmen und ich lass ihn mir nicht nehmen. – So rennt er fort.«

»Ja der Victor, was ist denn mit dem?« fragte Luzian abermals.

»Ich erzähl's ja, wart' nur. Vergeht kein' Stund', ist mein Egidi wieder da, er hat den Victor an der Hand und heißt ihn sein Schulsack zusammenpacken, und da schreit er über das Kind 'nein, daß es nicht weiß, ist es taub oder hat es sonst was than. Ich schick den Victor fort, er soll mir für einen Kreuzer Kandelzucker holen, und wie er fort ist, sag' ich: Egidi, du versündigst dich. Ich weiß wohl, es geht Einem so, wenn man sieht, daß Leut' ein Kind verziehen, so wird man auf das Kind bös und grimmzornig; es ist[127] aber nicht recht. Es ist mir mit unseren Nachbarsleuten, mit des Bäckers Christle, auch so gangen. Wenn du meinst, daß wir deinen Victor verziehen, mußt deinen Zorn nicht an ihm auslassen, das ist eine schwere Sünd'. Was Sünd'! schreit da der Egidi. Eine Sünd' gehört so wenig da 'rein wie eine Sau ins Judenhaus. Da sind ja lauter Heilige. Ich bin nun halt ein sündhafter Mensch und mein Victor ist mein Kind und soll auch so wer den, er muß wissen, daß man Buße thun muß. Ich komm' vom Schulconvent, und da hab' ich gehört, daß der Vater meinem Victor die Schul' verboten hat, und jetzt geht er mit mir und kann sich ein schlecht' Beispiel an mir nehmen. Ihr habt den Victor einmal euer Erzenkele geheißen, wir wollen dafür sorgen, daß er kein Erzteufele wird. – Luzian, ich kann dir nicht sagen wie schandgrob der Egidi gewesen ist, und er hat das Kind mit fort, und das hat geweint. Und mir thut's so and (bang) nach dem Kind, ich möcht' auch schier greinen. Jetzt hab' ich aber ein' einzige Bitt' an dich, Luzian, du folgst mir gewiß gern: verzeih dem Egidi seinen Unverstand, ich vergeb's ihm auch, und man muß ihm zeigen, daß Gutheit Trumpf sein muß, nachher sei Religion was für woll'. Gelt Luzian, du versprichst mir's, glimpflich mit ihm umzugehen?«

Ein Kopfnicken antwortete. Es bedurfte dieser letztern Ermahnung kaum, denn wie das so geht bei rasch auf einander folgenden Schicksalsschlägen: das persönliche Leid fühlt sich kaum mehr, und man erhebt sich in ihm zu Allgemeingedanken. Darum sagte auch Luzian aufstehend:[128]

»Ihr habt mir ein gut Wort gesagt Ahne, man ist oftmals auf ein Kind bös, weil seine Eltern es verziehen. Es geht Einem auch oft so mit ganzen Dörfern und Ländern; man darf den Menschen nicht bös sein, weil ihre Vormünder, die Pfarrer und Beamten, sie verzogen haben und noch verziehen.«

Luzian ging nach der Kammer. Die Frauen sahen verdutzt einander an, sie hatten einen mächtigen Ausbruch der Leidenschaft von Luzian erwartet, und jetzt redete er, daß man ihn kaum verstand.

»Was hat er?« fragte die Mutter so vor sich hin. Niemand antwortete.

Mit dem Rocke bekleidet kam Luzian wieder heraus, nahm den Hut und sagte mit einer ganz fremden Wehmuth im Antlitze: »Ich mach' heut' auch meine Stationen, sie sind ein bisle weit und die Schritte nicht abgezählt, aber mein Kreuz ist mir noch nicht zu schwer. Ich will nur zum Egidi, daß er mir das Kind nicht verdirbt. Könnet ohne Sorgen sein, er ist der Vater, ich werde ihm kein bös Wörtle geben.«

Wieder verließ Luzian das Haus.[129]

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 1. neu durchgesehene Gesammtausgabe, Band 4, Stuttgart und Augsburg 1857, S. 121-130.
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