Ein officielles Volksfest, eine exotische und eine wilde Blüthe.

[115] Seitdem wieder jede freie und natürliche Strömung des Volkslebens gebunden ist, seit die Verzweiflung an der Macht des rein sittlichen Gedankens immer allgemeiner zu werden droht, seit man Eidbruch und Verhöhnung des Rechts und Ehrgefühls als nicht zu erörternde Thatsachen hinstellt, ist von dem stolzerhabenen Fahnenrufe der vergangenen Jahre Alles verlöscht worden und nur das eine Wort: Wohlstand stehen geblieben. Die öffentlichen Stimmen rufen es allein aus und jeder Einzelne dünkt sich weise und gewitzigt und berühmt sich dessen, daß der günstige Geschäftsbetrieb, der Wohlstand, doch das einzige Wünschenswerthe sei. Höheren Ortes – wie man es nennt – wird diese Richtung sorglich gepflegt und ihr allenfalls noch durch Erweckung eines kirchlichen Sabbathsinnes ein Gegengewicht zu geben versucht; jede Bürgerehre, jede sittliche Verbindung der Staats-und Volksgenossenschaft wird als entbehrlich, ja vielfach als strafwürdig angesehen. Wenn sich hierdurch die bürgerlich-sittliche Gemeinschaft immer mehr aufzulösen droht, so wird der einsichtige Kenner der Menschengeschichte dennoch nicht trostlos verzweifeln, vielmehr die Zuversicht schöpfen, daß trotz aller eigensüchtigen Zerfahrenheit doch am Ende wieder Ehre und Freiheit sich entwickeln muß, wenn auch zunächst nur als die höchsten Güter des Genusses oder des Wohlstandes, wenn man es so nennen will.[115] Und auch jetzt schon, so wenig man es auch Wort haben will, zeigt der Staat, daß er diesseits der Markscheide der jüngst vergangenen Jahre andere Ziele haben muß: die ehemalige verneinende Polizeikunst möchte sich zu einer positiven Förderung des Gemeinwohls entwickeln, möchte von oben herab beglücken, ohne das doch je zu können.

Die vergangenen Jahre haben es oft dargethan, daß der Bauernstand die Pfahlwurzel alles gesunden Staats- und Nationallebens sei, und ihm wendet sich nun die höchste und allerhöchste Fürsorge zu. Während man jede Volkssitte, die frecherweise ohne höhere Genehmigung aufgewachsen ist, auszutilgen sucht, während man das öffentliche Singen der Volkslieder in den Dörfern verbietet, während man die Spinnstuben in Acht und Bann erklärt und sogar polizeilich sprengt, während man die Kirchweihen alle auf Einen Sonntag verlegt und so Nachbardorf von Nachbardorf absperrt – will man in den landwirthschaftlichen Vereinen und Festen ein mit Kanzleitinte verschriebenes Surrogat dafür setzen. Da sollen die politischen Schreier einmal zeigen, ob sie wirklich etwas wissen zur Hebung des Nothstandes und zur besseren Ausnutzung der Arbeits- und Naturkräfte! Jeder Hinweis auf die große Strömung des Nationalbesitzthums und seine Erfordernisse erscheint natürlich alsbald als Flausenmacherei; es handelt sich hier nur darum, wie die Cultur, natürlich der Gewächse, zu fördern, wo man russischen Weizen und Luzerne pflanze, wie der belgische Pflug zu handhaben, wie der Dünger zu behandeln und welche Vortheile[116] bestimmte Kreuzungen und Veredlungen, natürlich der Hausthiere, bringen. Zeigt sich dann auch beim Schmause eine gewisse Lebendigkeit und Lustigkeit, sie ist doch immer gedämpft und in Schranken gehalten, oder will einmal gar wildes Wasser einbrechen, es sind Dämme genug da, durch die Anwesenheit der Angestellten, die hier freilich nur einfache Mitglieder sind, aber doch ihre Amtstitel behalten und sogar in entsprechenden Uniformen darstellen. Eine gewisse Humanität, die auch den Niederen und Niedersten bedenkt, ist dabei jedoch nicht vergessen, wie wir bald sehen werden.

Eine mit Eichenlaubgewinden, mit Astern und mannichfachen besonders ausgezeichneten Jahreserzeugnissen geschmückte Tribüne erhob sich am Gartenzaun des Apostelwirths, so daß die Versammlung auf der Straße zwischen dem Wirthshause und der breiten Tribüne sich aufstellen konnte; Fuhrwerke, die des Weges kamen, mußten um das Apostelwirthshaus herum weiter fahren. Hier war noch vor wenigen Jahren eine fast beständige Tribüne für Volksversammlungen gewesen; hier war der Reichstagsabgeordnete gewählt und waren Proteste gegen ihn erlassen worden, der Lenz von Röthhausen hatte hier seine glänzendsten Triumphe gefeiert. Der Ort war vortrefflich in der Mitte des Bezirkes gelegen und der Wirth war einer der eifervollsten Freisinnigen und rauchte beständig aus einer Heckerpfeife. Seitdem hat er sich anders besonnen, hat sich das Rauchen abgewöhnt, schnupft nur noch echten Pariser und ist sogar fromm geworden.

Eine Musikbande war im obern Stock des Wirthshauses[117] an den Fenstern aufgestellt, ein Trompetenstoß und darauf folgender Marsch verkündete, daß jetzt die Viehmusterung beginne. Natürlich hatten zwei mit Ober- und Untergewehr bewaffnete Landjäger den Zug angeordnet und hielten Wache. Die Preisrichter waren fünf. Obenan stand der derzeitige Präsident des landwirthschaftlichen Vereins, ein resignirter Cameralverwalter, der jetzt als Pächter mehrerer Domänen den Titel Domänenrath hatte, ein behäbiges und lustiges Männchen mit spärlichen grauen Haaren auf dem Haupte, die jetzt sichtbar wurden, da er beim Austreten aus dem Apostel fortwährend alle Anwesenden grüßte, die entblößten Hauptes vor ihm standen. Dominik war der erste, der seinen Hut wieder aufsetzte, denn das Schwärzle war unbegreiflich wild. Dem Domänenrath folgte eine hagere selbstbewußte Erscheinung, die den Schnurrbart zwirbelte; es war der Rittergutsbesitzer von Renn, ehemaliger Leutenant. Nun kam eine vollbärtige untersetzte Gestalt, ebenfalls ein studirter Oekonom, ehemals Pfarrkandidat und jetzt Pächter auf dem Sabelsbergischen Gute in Reichenbach, im Rufe gelinder Freisinnigkeit stehend. Der Hirzenbauer, Klein-Rotteck genannt, eine untersetzte, gedrungene Figur und der ewig lächelnde, halb städtisch gekleidete Schultheiß des Ortes beschlossen die Reihe der Auserwählten.

Die Thiere wurden vorgeführt und von allen Seiten gemustert, der Domänenrath riß ihnen das Maul auf, um das Alter zu erkunden, seine Hände trieften von Schaum; er gab seine Stimme ab: erster oder zweiter Preis, worauf die Andern in der Regel laut beistimmten,[118] nur der ehemalige Theolog und der Klein-Rotteck wichen manchmal ab. Als Dominik mit dem Schwärzle vorfuhr und sich mächtig anstemmen mußte, da das sonst so geduldige Thier in der Menschenmenge unter der Musik schnaubte, und hin und herriß, lächelte eine Frauengestalt aus dem untern Fenster des Apostels. Die Oberamtmännin stand dort neben Ameile und sagte: »Das ist ein prächtiger Bursch, und wie er sich gegen den Kopf des Thieres anstemmt, steht er zum Malen da.« Der Domänenrath prüfte das Schwärzle und einstimmig wurde ihm der erste Preis zuerkannt. Der Landjäger verwies Dominik mit dem Thiere nach der rechten Seite, das Thier schleifte ihn fast und er mußte mit aller Kraft hemmen.

Nun bestiegen die Preisrichter die Tribüne. Der Oberamtmann in seiner Uniform mit der gelben Schärpe und dem Degen an der Seite stellte sich auch dort auf. Ihm folgte die Oberamtmännin, die nicht abließ, bis auch Ameile mitging; sie stellte sich aber immer hinter die Oberamtmännin, so daß sie kaum gesehen werden konnte. Der Domänenrath hielt nun einen Vortrag über den Flurzwang und die Vortheile des Zusammenlegens der Grundstücke, den er mit manchen anschaulichen Bildern und Scherzen zu würzen wußte, so daß oft ein verhaltenes Lachen durch die Versammlung sauste.

Auf seinen Wink ertönte dann ein Trompetenstoß und die Austheilung der Dienstbotenpreise begann, wobei noch ausdrücklich bemerkt wurde, daß nur solche belohnt würden, die ohne nahe Verwandtschaft viele Jahre in Einem Hause vorwurfsfrei gedient haben.[119] Auf der Tribüne lagen rothe Kästchen, welche mit dem Namen der Belohnten bezeichnet waren und die Denkmünze enthielten. So oft ein Name ausgerufen wurde, reichte die Oberamtmännin dem Domänenrath das Kästchen, dieser reichte es hinab und jedesmal ertönte ein dreimaliger Trompetentusch. Dominik war erst der vorletzte unter den Preiswürdigen, weil seine Dienstzeit durch die Militärpflicht unterbrochen war. Als endlich sein Namen ausgerufen wurde, faßte Ameile unwillkürlich das Kästchen und ohne es durch die Hand des Domänenraths gehen zu lassen, reichte sie es Dominik unmittelbar hinab. Ein heller Trompetentusch ertönte, in den sich freudiges Zujauchzen der Versammelten mischte. Wer könnte ermessen, was in diesem Augenblick in Ameile und Dominik vorging? Der Domänenrath streichelte ihr die glühende Wange und sprach etwas von Ritterfräulein und Turnieren, Ameile verstand ihn nicht, sie schwebte wie auf den Tönen der Musik in Jubel und Bangen.

Dominik steckte das Empfangene ruhig in die Tasche, schaute nur flüchtig auf und sich ungeschickt verbeugend und stolpernd kehrte er zu seinem Thiere zurück. Dort erst öffnete er das Kästchen und es enthielt ihm jetzt in der That einen hohen Ehrenpreis. Der Furchenbauer brachte nun dem Dominik eine mächtige Kuhschelle mit neuem rothem Riemen, die er vorsorglich im Wagensitze mitgenommen. Das Schwärzle ließ sich nicht ohne Unruhe die Schelle umhängen und vom Apostelwirth den Kranz auf's Haupt setzen. Der Apostelwirth war ein kluger, politischer Kopf, er hatte Kränze bereit[120] gehalten für alle, die gekrönt worden waren, und er behauptete, ganz genau vorher gewußt zu haben, welches Thier preiswürdig befunden würde.

Der Domänenrath hielt hierauf noch eine sehr in's Salbungsvolle übergehende Anrede über die Tugenden eines wackeren Dienstboten; ein aufmerksamer Zuhörer hätte es ihm deutlich angehört, daß er auf einen Uebergang zu der nun erfolgenden Handlung spekulirte und in seiner Rede hin und her tappte; er fand aber den richtigen Ausweg nicht und half sich endlich damit, daß er wieder einen Marsch aufspielen ließ. Der Rainbauer von Hirlingen – der sogenannte Scheckennarr, weil er nur scheckiges Vieh hielt und es oft theuer bezahlte – erhielt den ersten Preis für einen selbstgezogenen hochbeinigen holländischen Zuchtstier, den vier Mann führen mußten. Unmittelbar darauf wurde das Schwärzle vorgeführt, unter dem Kranze hervor schaute sein Auge keck hinauf zu den Preisrichtern, während der Furchenbauer den Hut abzog, da er seinen Namen ausrufen hörte und wieder Trompetentusch erschallte. Er geleitete den Dominik noch aus der Reihe hinaus und befahl ihm, jetzt nur der Straße nach heimzufahren. Durch alle Dörfer sollte nun sein Ruhm erklingen, der noch verewigt wurde im Wochenblättle.

Dominik wartete indeß noch auf den Hirzenbauer, und als er ihn sah, übergab er ihm das Kästchen sammt der Denkmünze und bat ihn, solches seiner Mutter in Nellingen zu zeigen und ihr drei Gulden darauf zu leihen. Der Hirzenbauer entgegnete, daß er von Dominik kein Pfand brauche, er nahm aber[121] doch die Denkmünze mit, um solche, wie er sagte, der Mutter zu zeigen und für sie aufzubewahren.

Gern hätte Dominik noch einmal Ameile gesehen, er konnte sie aber mit keinem Blicke erspähen, und mit verlangendem Herzen machte er sich auf den Heimweg. Das Fest, vor dem er sich gestern noch fast gefürchtet hatte, war nun doch ein freudiges geworden, aber freilich nicht blos durch die von oben gesetzte Anordnung.

Kaum war Dominik eine halbe Stunde von Wellendingen, als ihm ein wilder Reiter auf schnaubendem Rosse begegnete und staunend erkannte er den Alban; er hielt an und fragte:

»Wohin des Weges?«

»Wo du herkommst,« erwiderte Alban.

»Dein Vater ist drin.«

»Das weiß ich und eben deßwegen komm' ich. Ich bin's satt zu warten bis er mich ruft; heim komm' ich nicht, aber wo er sich in der Welt sehen läßt, muß er mir Rede stehen. Ich bin lange genug das verstoßene Kind gewesen. Heut auf Einmal ist mir's eingefallen, daß ich keinen Tag mehr versäumen darf.«

»Wenn du mir folgst,« belehrte Dominik ruhig, »kehrst wieder mit mir um; vor allen Leuten machst die Sache nur ärger, da kann dir dein Vater nicht nachgeben, wenn er auch wollt', und glaub mir, er möcht' und weiß nur nicht wie. Kehr' mit mir um. Ich hab' dir einen Gruß von deiner Mutter. Du machst einen Unschick, wenn du weiter rennst.«

»Was Unschick?« rief Alban, »ich bin kein Knecht,[122] ich will's nicht sein; des Furchenbauer Großer darf auch schon einmal einen Unschick machen.« Er ritt in wildem Galopp davon.

Dominik rief ihm noch nach, das Ameile sei auch da, aber Alban hörte schon nicht mehr.

Quelle:
Berthold Auerbach: Gesammelte Schriften, 2. Gesammtausgabe, Band 7, Stuttgart 1863, S. 115-123.
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