29. Die Verwalter.

[86] Ein reicher Herr, der ein großes Landgut besaß, bestellte sich einen geschickten Schaffner oder Rentmeister, der mit Lesen und Rechnen und Schreiben gut umzugehen wußte. Denn er dachte: geschickte Leute wissen das Ding besser anzugreifen, als ungeschickte; und er hatte soweit nicht unrecht. Aber es schlug ihm diesmal doch fehl; denn der[86] bestallte Rentmeister war ein Schalk, und er hatte immer schmierige Hände, woran des Herrn Geld zur Hälfte hängen blieb; und ob er zwar seine Rechnung auf dem Papier ganz richtig und stellte, und am Ende mit deutlichen Buchstaben geschrieben war: Das thut, so war nach Verlauf eines Jahres doch nichts gethan; denn im Beutel war kein Geld. Da dachte der Herr: Ich will es einmal mit einem recht ungeschickten Schaffner versuchen; und soweit hatte er unrecht; aber es schlug diesmal doch ein. Der neue Schaffner konnte zwar weder lesen, noch schreiben, noch rechnen; aber er war ein ehrlicher Mann, zudem verstand er den Landbau und was dahin gehört, und sah überall selbst nach und legte die Hand dazu, wo es nöthig war. Wie nun das Jahr herum war, sprach der Herr zum Schaffner: Wir wollen mit einander rechnen. Der Schaffner war gleich bereit dazu, und brachte eine große Tasche her bei, die zwei Beutel hatte, und sagte: In diesen Beutel hier habe ich das Geld gethan, was ich eingenommen und wieder ausgegeben habe, und der ist leer, wie Ihr seht; und in den andern habe ich gethan, was ich erübriget habe, und der ist voll. Nun rechnet selbst mit der Tasche. Der Herr strich das Geld ein, ohne es zu zählen, gab aber auch dem Schaffner eine Hand voll, ohne es zu zählen. Zwischen ehrlichen Leuten, dachte er, braucht's keine Rechnung.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 1, Leipzig [um 1878/79], S. 86-87.
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