42. Die sieben Züchten.

[105] In einer ehemaligen Reichsstadt war ein Gericht von sieben ehrlichen Bürgern gesetzt, die man die sieben Züchten nannte, in welchem allerhand geringe Schmach- und Zankhändel erörtert und geschlichtet wurden. Nun begab es sich einmal, daß zwei Bürger auf offener Gasse in Streit geriethen; und als sie nach langem Gezänk von einander gingen, sagte der eine zum andern: Man kennt dich wol, was du für ein Vogel bist. Der andere legte ihm diese Worte übel aus, ließ ihn vor die sieben Züchten bieten, und klagte ihn deswegen an. Der Beklagte gab zur Antwort: er könne nicht in Abrede sein, daß er die Worte geredet; vermeine auch nicht, daß er übel geredet; denn sein Kläger heiße Finck; nun wisse aber Jedermann, was Finck für ein Vogel sei. Ungeachtet dieser Entschuldigung wurde er um einen Schilling (6 Kreuzer) gestraft. Er erlegte die Strafe willig, sagte aber nebenbei: ob er etwas fragen dürfte? Die Herren sagten: ja wol. Darauf sprach er: Meine günstigen Herren, ich bitte euch um Verzeihung, da ihr euer sieben seid, so möcht' ich wol wissen, wie ihr diese 6 Kreuzer mit einander theilet? Die Herren hielten dies für ein Gespött, und straften ihn abermal um einen Schilling. Nachdem er das Geld erlegt, ging er fort, und schlug die Thür aus Unwillen etwas hart hinter sich zu. Die Richter ließen ihn wiederum holen, und straften ihn wegen dieses Trotzes abermal um einen Schilling. Er zahlte und[105] ging seines Weges fort, that auch die Thür gar sanft zu, öffnete sie aber bald wieder und sagte: Ihr Herren, ist es so recht? Die Richter hielten es für einen spitzigen Stich, und straften ihn deshalb wieder um einen Schilling, worauf er denn fein still hinaus ging. Als er draußen war, sagte er: Ich glaube, wenn unser Herr Gott vor die sieben Züchten käme, er würde von ihnen gestraft. Dies hörte ungefähr ein Stadtknecht, und zeigte es seinen Herren an. Die ließen ihn wieder zurückrufen, gaben ihm einen scharfen Verweis, und straften ihn abermal um einen Schilling. Hierauf ist er gar bescheiden hinweggegangen.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 1, Leipzig [um 1878/79], S. 105-106.
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