48. Der redliche Hans und die schlaue Grete.

[111] Es waren zwei Brüder, die hatten jeder einen gar stattlichen Meierhof. Sie wohnten nicht weit von einander, und besuchten sich auch oft, wo sie dann über ihren Haushalt und ihr Fortkommen sprachen; und der eine konnte nicht genug die Redlichkeit seines Knechtes rühmen, und der[111] andere die Schlauheit seiner Magd. Nun hatte der ältere Bruder einen prächtigen Hengst im Stalle, und der jüngere eine eben so schöne Stute, beide von gleicher Farbe und Größe. Da kamen sie denn zu wiederholten Malen darüber zur Rede, und der eine wollte dem jüngern die Stute abhandeln, der andere dem älteren den Hengst; aber sie wurden nie des Handels eins, und jeder erklärte, es sei ihm sein Stück um keinen Preis feil. Einstmals, als sie eben wieder über die Sache redeten, sagte zuletzt der jüngere: Ich wette, daß ich doch noch deinen Hengst kriege, ohne daß du es erfährst; und dein Knecht führt mir ihn selbst zu. Drauf sprach der ältere: Und ich wette Hengst gegen Stute, daß dies nicht geschieht; denn wenn auch er selbst ihn stehlen wollte, er würde mir's sagen; so sehr vertraue ich auf ihn und seine Redlichkeit. Also war die Wette gemacht, und die Brüder schieden von einander.

Des andern Morgens ließ jener die Magd zu sich rufen, und erzählte ihr, was zwischen ihm und seinem Bruder verhandelt worden, und daß er nun auf ihre Klugheit und Verschlagenheit vertraue. Grete sagte: Laßt mich nur machen. Und sie ging noch desselben Abends hinüber in den Hof, und suchte den Knecht, den Hans, auf. – Guten Abend, Hans! Schönen Dank, Grete! Immer noch unmüßig? Muß wol sein! Ich hab' mich auch einmal um dein Wesen umsehen wollen, und wie du's mit dem Stalle hältst. Man rühmt deine Ordnung. Hans fand sich geschmeichelt; er lud sie ein; sie half ihm zur Arbeit; Hans bemerkte, daß Grete ein schönes Mädel sei. – Den Tag darauf – es war Samstag – kam Grete wieder. Guten Abend, Hans! Schönen Dank, Grete. Ist's dir recht, daß ich wieder komme? Ei ja wol! Hast du schon Feierabend? Es ist schon alles gethan; ich habe gedacht, daß du kommen mögest. Sie setzten sich zusammen, und plauderten ein Stündlein, und Hans bemerkte, daß die Grete, die Hex', ein gescheidtes Mädel sei. Und er lud sie ein[112] auf den nächsten Sonntag, wo er sie zum Tanz führen wollte. Grete kam, und Hans ging mit ihr, und sie tanzten bis spät in den Abend. Da sagte Grete mit Einemmal: Es ist spät geworden! Ich sollt' schon zu Haus sein. Was wird der Herr sagen? Geh, sattle den Hengst, und reit' mit mir heim! Hans ließ sich nicht zweimal bitten, und er nahm sie zu sich aufs Roß, und ritt fort in der Dunkelheit. Sie hielt ihn mit ihren Armen fest umschlungen. Und nun glaubte sie, es sei der Augenblick gekommen, um mit ihrem Anliegen heraus zu rücken, und sie eröffnete ihm: Daß ihr Herr den Hengst gern haben möchte, daß er ihr eine große Belohnung versprochen habe, und daß sie dann den Hans heirathen wolle. Willst, lieber Hans? fragte sie, und gab ihm einen Schmatz. Hans mochte wollen oder nicht, er mußte wol, und es war nur noch zu bedenken, wie er seinem Herrn etwas Blaues vor die Augen machen könnte, daß er den Diebstahl nicht merkte. Du lügst, sagte Grete, auf dem Heimweg wärest du verirrt, da hätten dich Wölfe angefallen, und das Roß, das du ihnen überlassen, aufgefressen. Für die Knochen laß nur mich sorgen; der Schinder hat deren im Ueberfluß und nach Auswahl. Sie sollen morgen an Ort und Stelle liegen. – Also war die Sache abgemacht, und Hans ließ den Hengst zurück, und kehrte zu Fuß heim.

Hans konnte aber nicht schlafen. Es ging ihm immer im Kopf herum, was und wie er's dem Herrn beibringen sollte den andern Morgen von wegen des Hengstes. Er wollte sich sogleich noch auf den schweren Gang vorbereiten und gleichsam einprobiren, ging zur Thür hinaus, klopfte an, trat ein, und kehrte sich an einen Besen in der Ecke, der seinen Herrn vorstellen sollte. Guten Morgen, Hans! Schönen Dank, Herr! Was macht mein Rappe, der Hengst? Ach Herr, der Hengst – – – Da blieb er in der Rede stecken, und konnte nicht weiter fahren. Er ging nochmals zur Thür hinaus, und that, wie das erstemal. Guten[113] Tag, Hans! Schönen Dank, Herr! Was macht mein Rappe, der Hengst? Ach, lieber Herr, der Hengst – – – Da blieb er wieder stecken, und die Lüge konnte ihm nicht aus dem Hals heraus, und sie fiel ihm auf's Herz, wie ein Centnerstein. – Des andern Morgens trat er frühe ins Zimmer seines Herrn. Guten Morgen, Hans! Schönen Dank, Herr! Was macht mein Hengst, der Rappe? Ach, Herr, sagte Hans, der Hengst, der Rappe – – – hier stockte er; er faßte sich aber, und sprach: Der Hengst ist gestohlen, und ich habe selbst den Dieb gemacht. Nun laßt mich nur gleich aufhenken. Er erzählte hierauf, was vorgegangen sei, und wie ihn die Grete beschwatzt habe, die Blitzhex', und wo der Rappe stehe, nämlich im Stall seines Bruders. Der Herr freute sich über die erprobte Redlichkeit seines Knechtes, und er verzieh ihm und versprach ihm noch dazu dieselbe Belohnung, wie sein Bruder der Magd gethan. Und, setzte er hinzu, ist's dir noch Ernst mit dem Heirathen, so nimm die Grete und führ' sie in mein Haus. So habe ich dann zu einem redlichen Knecht auch eine schlaue Dirne. Das war dem Hans recht; und so hatte denn die Redlichkeit die Wette gewonnen, und der andere, der auf Schlauheit gerechnet, hat Magd und Stute eingebüßt, und ist ihm ganz recht geschehen.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 1, Leipzig [um 1878/79], S. 111-114.
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