Neuntes Kapitel.

[30] Nach einem zehnjährigen wüsten Umhertreiben in fremden Gegenden kehrte Doctor Faustus wieder in die deutschen Lande zurück. Die süßen Laute der Muttersprache, die heimatlichen reinlichen Städte, die einfältigen Sitten des Volkes, sie erweckten in ihm eine mit Wehmuth gemischte Freudigkeit, und seine Seele holte zum ersten Male wieder Athem. Es däuchte ihm, als ob er von einer langwierigen, schmerzhaften Krankheit genesete. Doch dauerte dieser Zustand nur kurze Zeit. Der Siechthum seiner Seele hatte die edelsten Theile verdorben und verzehrt, und er konnte sich schon der unangenehmen Empfindungen nicht anders erwehren, als daß er sich neue und immer gesteigerte Genüsse bereitete und sich damit betäubte. Aber wo diese suchen und finden? Er hatte ja Alles erfahren, Alles durchgenossen, was die ganze weite Welt an Freuden darbietet, und es war ihm nichts Neues, nichts Wünschenswerthes mehr unter der Sonne. In diesen mißmuthigen Gedanken durchschweifte er wiederum, wie ehemals, die Einöden,[30] die Wälder, die Gebirge, und vermied die Gesellschaft der Menschen, ja selbst seines dienstbaren Geistes. – Eines Tages befand er sich an der Küste des Meeres. Weite unfruchtbare Steppen und Sandhügel zogen sich landabwärts. Keines Menschen Tritt hatte sich je noch dahin verirrt; nur Schlangen und andere Gewürme nährten sich in den einzelnen Pfützen, und Möven und Raubvögel der Wüste flatterten kreischend drüber hinweg. Da hatte er den Einfall, zu wünschen, daß diese wüste, weite Gegend in ein Zaubergelände verwandelt werde, mit dem Ausbund aller Herrlichkeiten versehen, welche die Welt in sich begreifet, an seltenen Bäumen, kostbaren Früchten, an Blüten und Gesträuchen von den feinsten Düften und buntesten Farben; und mitten inne sollte ein Palast stehen, der an Kostbarkeiten, an Gold und Edelgestein, an Statuen und Gemälden Alles vereinige, was das große Rom und das schöne Griechenland je aufgewiesen hat. Und es geschah. Der Fürst dieser Welt, zu dessen Dienst er geschworen, schien alle seine Schätze erschöpfen zu wollen, um dieses irdische Paradies zu schaffen für seinen Diener. Es war das Galgenmahl, das er ihm bereiten wollte. Doctor Faustus fühlte sich auch in dieser neuen, überraschenden Umgebung so glücklich, daß er mindestens seines Unglückes auf Stunden vergaß. Sogar die Sehnsucht nach einer Lebensgefährtin erwachte in ihm. Indem er jedoch unter den schönen Töchtern der Erde, deren er sich erinnerte, Musterung hielt, konnte er keine unter allen finden, die seinem Geschmacke Genüge gethan hätte. Nun befand sich aber unter den Statuen, die seinen Palast zierten, auch die der Helena aus Griechenland, der schönsten aller Frauen, um derentwillen das mächtige Troja zerstört worden. Mit Wohlgefallen betrachtete er oft das liebliche Bild; er bewunderte die Schönheit der Glieder, die Anmuth der Formen; er entbrannte so sehr in Liebe gegen die zauberische Gestalt, daß er wünschte, sie möchte Leben gewinnen und in seine[31] Umarmung sinken. Und es geschah abermal, was er gewünscht hatte. – Uebergehen wir die folgenden Tage, in welchen Doctor Faustus, von sinnlichen Taumel hingerissen, Feste der Hölle feierte. Wir treffen ihn wieder, wie er einsam wandelt durch die Gebüsche des Zaubergartens, Blumen zerpflückend und Schmetterlinge zerstampfend. Er schreitet zuletzt einen Vorhügel hinan, von dem aus er sich eine schöne Aussicht versprach über sein reizendes Gelände bis ins weite Meer hinaus. Eine ärmliche, aber reinliche Hütte stand hier, und umher lag ein kleines, aber wohl bebautes Feld. Kaum hatte sich Doctor Faustus niedergelassen auf der Bank, als ein betagter Mann herbeikam aus der Hütte, und gleich darauf sein Weib. Sie begrüßten ihn, und boten ihm Erquickung an, Milch und Brod. Auf Faustus' Befragen nach ihren Umständen, erzählte der Mann, daß vor ungefähr zwanzig Jahren ein fremder Herr, den sie hier nach Gottes wunderbarer Fügung, getroffen, ihnen so viel Geld geschenkt habe, daß sie diesen Platz hätten an sich kaufen und eine Hütte darauf erbauen können. – Doctor Faustus erinnerte sich hier jenes Auftrittes, den er in seinem wüsten Weltleben längst vergessen hatte. – »Sie hätten dann,« fuhr der Mann fort, »in Gottes Namen zu wirthschaften angefangen, und der Himmel habe ihre Arbeit so gesegnet, daß sie nie mit Sorgen zu Bette gegangen, und nie ohne Hoffnung aufgestanden seien.« – Doctor Faustus faßte den Mann und das Weib näher in's Auge, und ihr gesundes frisches Aussehen und ihr zufriedener Blick bestätigten die Aussage des Mannes. – Indessen kam auch ihr Sohn herbei, mit der Karste auf der Schulter, ein blühender Jüngling; mit ihm eine Jungfrau von lieblichem Ansehen. – »So haben wir denn,« erzählte weiter der Mann, »unser Leben mit Gottes Gnade in Frieden und Freuden zugebracht, und nun gedenken wir das Gütlein diesem unserm Sohne abzutreten, damit er sich seine Braut heimführen könne. Die Hütte[32] hat schon Platz für uns Alle, und der Boden wird uns fortan ernähren, so lange Eintracht und Genügsamkeit in unserer Mitte herrschen.« – Der Jüngling hatte seinen Arm um das Mädchen gelegt, und sein Auge ruhte mit Wohlgefallen auf ihrem lieblich erröthenden Antlitz. Doctor Faustus fühlte sich seltsam bewegt; seine Brust ward ihm beklommen, sein Auge feucht; er konnte vor innerer Unruhe nicht mehr bleiben, und ging fort ohne Abschiedsgruß. Am Abhange des Hügels blieb er stehen; er überschaute hier nochmals sein Zaubergelände: es trat wunderbar groß und herrlich hervor in der goldenen Beleuchtung der Abendsonne. Da stieg in ihm, fast unbewußt, der Gedanke auf: wie so gar wohlgelegen wäre mein Schloß dort oben an der Stelle der schmutzigen Hütte! Und in demselben Augenblicke, kaum daß er's gedacht, prasselte es hinter seinem Rücken wie eine Feuersbrunst, und als er sich umwandte, sah er die Hütte in vollen Flammen, und er sah jene armen Menschen sich flüchten, wie erschreckt durch ein Gottesgericht, händeringend und laut jammernd. Nachdem Doctor Faustus einige Zeit lang in dumpfer Bewußtlosigkeit gestanden, und nun aufschaute, da erblickte er, wie er's gewünscht hatte, an jener Stelle seinen Palast. Er betrat ihn nicht wieder.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 2, Leipzig [um 1878/79], S. 30-33.
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