21. Die Freunde in der Noth.

[82] In Noth und Tod werden auch Feinde zu Freunden, wenn sie anders Menschen sind. Das zeigt folgende Geschichte.

In einem der früheren französischen Kriege, als nach der Schlacht Alles durcheinander ging bei Nebel und Wetter, fiel ein Franzose in ein tiefes Loch, eine ausgetrocknete Cisterne, aus dem er sich nicht mehr heraushelfen konnte; und bald nachher pflumpfte auch ein Deutscher hinein, und blieb auch darin stecken. Der Franzose schrie: Kiwi! und der Deutsche: Wer da! und jeder merkte nun, wen er vor sich habe, und daß sie sich gemächlich den Säbel durch den Leib rennen konnten, als ächte Patrioten. Sie bedachten sich aber eines andern, beide, und sie gaben sich in gebrochenem Deutsch und Französisch, so gut es gehen mochte, zu erkennen, es sei besser, einer helfe dem andern, als daß sie sich beide massakrirten. Also schrie bald der Eine, bald der Andere um Hilfe, jeder in seiner Sprache. Endlich hörten Deutsche des Deutschen Ruf, und sie machten sich sogleich[82] daran, den Kameraden zu retten. Als der Deutsche ans Licht gekommen war, sagte er ganz trocken: Es steckt noch einer drunten, ein guter Kamerad. Der wurde also auch heraufgezogen. Wie sie nun sahen, daß es ein Franzose sei, wollten sie ihn niederhauen. Das litt aber der Deutsche nicht, sondern er sagte: Wir haben einander versprochen, daß einer den andern rette; er hätte es auch gethan, wenn mich die Spitzbuben, die Franzosen, bekommen hätten. Diesen Vertrag, welche die Freunde geschlossen, respectirten die Feinde; und er wurde zwar als Gefangener von Kriegsrechtswegen fortgeführt, aber wie ein Kamerad von den Kameraden gehalten.

Quelle:
Ludwig Aurbacher: Ein Volksbüchlein. Band 2, Leipzig [um 1878/79], S. 82-83.
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