186. Burgstadel.

[173] Auf dem Burgstadelkopf stand vor Zeiten ein stattliches Schloß, von dem keine Spur mehr sichtbar ist. Seine letzten Besitzerinnen waren drei Schwestern, deren eine das Augenlicht verloren hatte. Als sie das viele Geld aus der Hinterlassenschaft ihrer Eltern unter sich theilten, maßen sie es sich in Simmern zu, wobei die beiden Sehenden die Blinde in der Art betrogen, daß sie deren Simmer umkehrten und das Geld darauf legten, was dieselbe beim Betasten für ein volles Maß hielt.

Nachdem sie den Betrug inne geworden, verwünschte sie ihre Schwestern und das Schloß, welches darauf mit all seinen Leuten und Schätzen versank. Das eine der verwünschten Fräulein läßt sich öfters sehen, besonders am ersten Freitag im März und im Advente; sie ist weiß gekleidet, trägt an der Seite ein Gebund Schlüssel und am Arm ein weißes Hängkörbchen. Eines Mittags zwischen elf und zwölf kam sie am Burgstadelkopfe zu einem frommen Mann aus der Hammerschmiede und hieß ihn ihr folgen. Er that es und wurde von ihr in[173] den Berg und zu einer Thüre geführt, unter welcher ein schwarzer Pudel quer über lag. Nachdem das Fräulein die Thüre aufgeschlossen, schritten sie über den knurrenden Hund hinweg in einen schönen Garten und von da in die prächtigen Gemächer des Schlosses. In einem großen Saale lagen gegen zwanzig Männer und Frauen schlafend an einer Tafel, und im benachbarten Gewölbe waren große Reichthümer aufgehäuft. »Alle diese Schätze und das Schloß dazu kannst du gewinnen,« sagte das Fräulein zu ihrem Begleiter, »und mich mit den andern hier erlösen, wenn du, von morgen an, drei Nächte nacheinander zwischen elf und zwölf auf den Platz des Burgstadels kömmst und durch die Gestalten, worin ich dir erscheinen werde, dich nicht abschrecken lässest, mir jedes Mal einen Kuß zu geben.« Der Mann erklärte sich bereit und nachdem er, auf den Rath der Ettlinger Jesuiten, gebeichtet und kommunicirt hatte, ging er zur bestimmten Zeit auf die bezeichnete Stelle und küßte das Fräulein, die in ihrer gewöhnlichen Gestalt war. Ebenso machte er es in der zweiten Nacht, wo sie als große Kröte sich zeigte. Das dritte Mal aber, wo sie als Schlange mit einem Bund Schlüssel um den Hals erschien, ward er durch die heftigen Bewegungen, die sie in Erwartung ihrer nahen Erlösung machte, so erschreckt, daß er, statt sie zu küssen, davonlief. Da rief sie ihm klagend nach, daß sie nun noch viele, viele Jahre umgehen müsse; denn jetzt erst falle die Eichel in den Boden, in deren einstigem Holze derjenige zuerst gewiegt werde, der sie wieder erlösen könne, und darauf erhob sich ein Jammern und ein solches Krachen, wie wenn der ganze Berg zusammenstürze. In Folge des Schreckens starb der Mann nach wenigen Tagen.[174]

Tief in der Nacht begegneten einst unten Vorübergehenden sieben weißgekleidete Jungfrauen, die Körbe mit Geld auf den Köpfen trugen. Bei ihnen war, in schwarzer Hundsgestalt, der Teufel, um zu verhindern, daß jemand von ihnen erfahre, wie sie zu erlösen seien.

Ein Steinhauer sah mittags auf dem Burgstadel eine riesenhafte Schlange in ein Bodenloch kriechen, das sich von selbst öffnete und schloß; und ein anderer Mann gewahrte dort ebenfalls ein solches Thier, welches aber einen Menschenkopf hatte.

Als ein Grünwettersbacher nachts an dem Berge vorbeiging, ward er mit Namen hinaufgerufen, und als er dahin kam, erblickte er einen langen Mann ohne Kopf, vor welchem er eilig entfloh.

Vor etwa vierzig Jahren fanden Leute aus Busenbach, die auf dem Burgstadelkopf fröhnten, im Boden schön glänzende Silbermünzen, welche so groß wie Groschen waren und auf der einen Seite eine Hand, auf der andern ein Kreuz als Gepräge hatten. Sie gruben gegen dreißig Mäßlein derselben heraus und sahen noch unzählige vor sich in der Erde, aber, statt stille zu bleiben, bekamen sie wegen der Theilung miteinander Streit, und sogleich versanken die im Boden liegenden Münzen, und die ausgegrabenen verloren ihren Schimmer.

An einer Haselstaude des Bergwaldes hängen die zusammen gebundenen Schlüssel der Schloßthüren; aber nur derjenige kann sie finden, der dazu geboren ist.

Auf dem Burgstadel zeigte sich eines Tages ein übernatürlicher Glanz, und nachts ertönte schon dort das helle Geläute zweier Glöcklein, wie auch wunderschöner geistlicher Gesang.

Quelle:
Bernhard Baader: Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 1, Karlsruhe 1851, S. 173-175.
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