60. Messen angelobt.

[42] Als im Jahr 1796 die Neufranken verheerend gegen Ettenheimweiler zogen, gelobte die Pachterin eines benachbarten Hofes, fünfzig Messen lesen zu lassen, wenn ihr Haus von der Grausamkeit dieser Feinde verschont bliebe. Letzteres geschah, zur allgemeinen Verwunderung; die Frau unterließ jedoch, ihr Gelübde zu erfüllen, und ohne dasselbe Jemand offenbart zu haben, starb sie nach drei Jahren in Ettenheimweiler. Als ihre dort verheirathete Tochter, nach Verfluß von ebenso viel Jahren, Nachmittags auf dem Fuchsberg die Reben schnitt, erschien ihr plötzlich eine Frau mit grauem Gesicht und grauem Kleid und sprach: »Du mußt mich erlösen!« Vor Schrecken fiel jene in Ohnmacht; als sie daraus erwachte, war die graue Gestalt verschwunden. Dieselbe kam aber, einige Tage nachher, am Morgen zu ihr in die Küche und sagte: sie sey ihre Mutter, und um sie zu erlösen, solle die Tochter von Haus zu Haus so viel Geld zusammenbetteln, daß davon die fünfzig Messen gelesen und vierundzwanzig Kreuzer der Magd bezahlt werden könnten, der sie, bei ihren Lebzeiten, drei Batzen am[42] Lohne abgezogen habe. Hierauf verschwand sie, die Tochter aber eilte zu ihrem Mann und erzählte ihm, was ihr begegnet. Um ihr das Betteln zu ersparen, wollte er selbst das Geld hergeben, was auch der Pfarrer, den sie darüber um Rath fragten, für genügend erklärte. Ehe jedoch der Mann das Geld beisammen hatte, erschien seiner Frau ihre Mutter wieder in der Küche und sprach drohend: »Willst Du Alles thun, was ich Dir geheißen habe, oder willst Du meinen Zorn fühlen!« Voll Angst versprach die Frau, zu gehorchen, machte sich auch alsbald auf den Weg und bettelte von Haus zu Haus bis gegen Freiburg hinauf. In vierzehn Tagen hatte sie das Geld beisammen; damit bezahlte sie die Magd und ließ in den benachbarten Klöstern die fünfzig Messen abhalten. In der Nacht nach Lesung der letzten Messe kam die Mutter, in glänzend weißer Gestalt, zu dem Mann und der Frau in die Schlafstube, sagte für ihre Erlösung Dank und legte, um diesen zu bezeugen, ihre rechte Hand auf eine Flegelruthe, die, nach ihrem Begehren, ihre Tochter ihr hinhielt. Da brannten sich ihre fünf Finger hinein, und sie verschwand. Die Flegelruthe wird noch jetzt in dem Hause aufbewahrt.

Quelle:
Bernhard Baader: Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Band 2, Karlsruhe 1859, S. 42-43.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden
Neugesammelte Volkssagen Aus Dem Lande Baden Und Den Angrenzenden Gegenden (Paperback)(German) - Common
Neugesammelte Volkssagen Aus Dem Lande Baden (Paperback)(German) - Common
Neugesammelte Volkssagen Aus Dem Lande Baden (Sammlung Zenodotbibliothek Der M??rchen) (Paperback)(German) - Common
Neugesammelte Volkssagen Aus Dem Lande Baden Und Den Angrenzenden Gegenden
Neugesammelte Volkssagen Aus Dem Lande Baden Und Den Angrenzenden Gegenden