Achter Auftritt.

[304] HANS WURST fängt zitternd an, und Faust entfernt sich bei den ersten Strophen der Erzählung.

Ihr Herrn! was soll ich sagen, daß von Euch

Gleich Jeder schwöre: das ist Lessing selber!

So spricht nur Lessing! Ganz genielos zwar

Und unpoetisch bin ich; aber das

Ist selbst nach jener Genialitäten

Geständniß nicht genug. – Ich wag' es doch!

Will lieber ungepeitscht mein bischen Witz,

Als ein- und ausgepeitscht ihn von mir geben. –


Weil Göthe – Heil dem Meister, wenn die Jünger

Mich auch noch ärger plagten! – meisterhaft

Altdeutsches aufgefaßt und dargestellt,

Muß Alles jetzo durchaus altdeutsch seyn. –

Weil er den Faust gemacht, und mit Gewalt

Darin die Faust des Riesenarms geballt,

Muß Alles jetzo fausten und sich ballen,

Bis auf des kleinsten Zwergleins kleinste Krallen! –

Wenn sie mich nur nicht hören! – Bin ich Lessing,

Dann sag' ich so: Weil einmal unser Herrgott

Den Krebs gemacht, der rückwärts geht, und gut,

Wie Alles was er sonst gethan, vortrefflich,

So ganz vortrefflich, daß der Philosoph,

Wenn er bei'm Krebse stehen bleibt, und sieht

Das Ganz', und im Detail, den Wunderbau,

Die Fügung aller Glieder, die Vereinung[304]

Des Flüssigen und Starrn zu einem Leben,

Das rücklings sich bewegt, bewundernd ausruft:

Wer das kann machen, der kann mehr als das –

Weil unser Herrgott so 'nen Krebs gemacht,

Drum müssen alle Thiere nun auf Erden,

Wir, unsre Kinder, und die ganze Welt,

Auch rückwärts gehn! – Wenn sie mich nur nicht hören! –

Ach! Lessing bin ich nicht! muß nur so scheinen!

Verzeihe, großer Genius, dem kleinen! – –

Wie wenn ich Euch erzählte, schlecht und recht,

Das Märchen von dem ersten Stiefelknecht?

Zur Zeit des Urstamms aller Völker, als

Nur ein Geschlecht auf Erden wohnt' und dies

In einem einz'gen Dorf ansässig war,

Gab's in der Welt nur einen einz'gen Schuster,

Denn's ganze Dorf behalf sich, merkt's! mit Einem.

Das ging nun eine Zeitlang ziemlich gut,

Bis alle Kinder, die noch baarfuß gingen,

Groß wurden, und auch Stiefel haben wollten.

Allmälig mehrten sich im Menschgeschlecht

Die schon erwachsnen Beine so, daß kaum

Der Schuster, fleißig nähend Tag und Nacht,

Ein Drittel noch so so bestiefeln konnte.

Drei Söhne hatte dieser brave Mann

Zum Glück, die er das Schustern alle lehrte,

Theils aus Patriotismus, theils wohl auch,

Weil's Handwerk reichlich allen Brot verschaffte;

Zumal nach seinem Tode. – Wie sie groß

Nun wurden, und so gut wie er die Stiefel,

Vielleicht noch besser machten, deckten sie

Schon drei'n Welttheilen – (damals nur drei Dörfern)

Mit ihrem Leder die vornehmsten Beine.

Der Vater, der nunmehr so rastlos nicht

Zu schustern brauchte, gönnte sich des Sonntags

Ein bischen Ruh', wie nicht ihm zu verdenken,

Zumal da selbst sein Ausruhn Arbeit war,

Nur eine andre; denn er hatte mehr[305]

Als ein Talent; nicht blos Genie zum Schustern.

War's Zufall, war's Berechnung? gnug, er fand

Die Form des nützlichen, der Menschen Händ'

Ersparenden, jetzt so bekannten, und

Gemeinen Hausgeräths, wodurch man leicht

Sich selbst die Stiefel auszieht; und im Stillen

Sann, brütet' er und bohrt' und schnitt so lang,

Bis er in Holz das Ding realisirte,

Und froh der äußersten Vollendung – starb.

Die Söhne fanden unter seinem Bett,

Nebst vielem alten unbrauchbaren Quark,

Den wunderschönen Stiefelknecht, noch nicht

Den Zweck einsehend, doch die Form bewundernd.

Ei! sprachen sie, welch göttlich Ding ist das!

Und lange blieb's bei'm kindlichen Bewundern

Des Vaterwerks, bis einst der ältste Sohn

Die eigne Stiefelferse in die Gabel

So passend eintrat, daß ihm der Gebrauch

Und jede Folge draus für ihn und für

Das Stiefelausziehn des gesammten Menschen-

Geschlechtes hell vor seine Seele sprang.

Er ging an's Werk, und machte jenen nach

In Tannenholz. Des Vaters war von Ceder.

Als er ihn fertig, bracht' er ihn dem König,

– Denn einen König hatten schon die Dörfer –

Und dieser, froh der trefflichen Erfindung,

Bezahlt' ihn fürstlich; – für den ganzen Hof

Ließ er davon ein Dutzend gleich bestellen.

Die beiden Brüder, als sie sahn, wie sehr

Das leichte Werk gefiel, begannen nun

Auch Tannenholz zu schneiden statt des Leders,

Und Keiner dacht' an's Stiefelmachen mehr.

Anfangs auch ging's recht gut. Vom König bis

Zum Schornsteinfeger wollte Jeder, selbst

Wer keine Stiefel, einen Stiefelknecht.

Und wie es geht, die Mode wurde Luxus,

Und drauf der Luxus Mode. – Jener Knecht

Des Vaters schien den Brüdern gar zu einfach;[306]

Stark war er nur, bequem, dem Zweck genügend,

Und damit gut. – Sie machten schöne Schnörkel

Und allerlei Verzierungen daran,

Daß so ein Stiefelknecht von Tannenholz,

Von Pergament, zuletzt von dickem Papp-

Papier, mehr kostete als drei Paar Stiefel.

Selbst Damen ließen sich von Marzipan

Dergleichen bei den Brüdern machen, ganz

Zum Fressen schöne, bloß der Mode wegen.

Allmälig aber waren an der Hauptstadt,

– Das größte Dorf war Hauptstadt worden – an

Des Hofes, und sogar des Königs Stiefeln

Gar keine Sohlen mehr. Der alten Kunst

Bedürfniß ward gefühlt. Man flehte, bat

Die Stiefelknechterschaffer, Stiefel doch

Zu machen, gäbe gern für ein Paar Stiefel

Drei Dutzend Stiefelknechte jetzt. Umsonst!

Die Schöpfer wollten sich so tief herab

Nicht lassen; konnten auch im Grunde nicht:

Das Schustern war verlernt. Die neue Kunst

Ward unnütz, und die alte war verloren.

Baarfuß verfluchte lang das Menschgeschlecht

Den wunderschönen ersten Stiefelknecht.


Zu dem Balcon.


Verzeiht, wenn mir die Rolle schlecht gelungen.

Ihr Herrn! Ihr saht, ich ward dazu gezwungen. –

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Baggesen, Jens: Der vollendete Faust oder Romanien in Jauer. Jens Baggesen's Poetische Werke in deutscher Sprache, Bd. 3, Leipzig 1836 [Nachdruck: Bern, Frankfurt am Main, New York 1985], S. 304-307.
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