3.

[381] An der Marienkirche in Rostock war vor vielen Jahren einmal ein Küster, der es sich bequem machte und die Betglocke von seinem Dienstmädchen stoßen ließ. Das geschah sowohl im Winter wie auch im Sommer, des Morgens um 6, des Mittags um 11 und des Abends um 5 Uhr und so ist es auch noch heutigen Tages Gebrauch. Von hundert Mädchen hätten das wohl kaum zehn gethan, namentlich nicht im Winter, wo es ja des Abends und Morgens um diese Zeit noch völlig dunkel ist. Dazu hing der Glockenstrang mitten in der Kirche. Aber des Küsters Mädchen war beherzt und wußte nichts von abergläubischer Furcht. Sie dachte ›Was die Leute von Spuk und Gespenstern erzählen, ist eitel Thorheit.‹

Dieses Mädchen war verlobt mit einem Schustergesellen aus der Stadt. Als derselbe im Winter eines Abends einen Besuch machte und die Zeit des Betglockenstoßens nahe war, da meinte er: das sei doch wirklich keine Kleinigkeit, so allein im Dunkeln in die Kirche zu gehen; er würde sich nie dazu entschließen. Das Mädchen lachte recht herzlich über seine Aeußerung und entgegnete: wenns sein müsse, werde sie sich um Mitternacht ohne jegliche Begleitung dahin begeben.[381] Der Liebhaber schwieg, nahm sich aber vor, sie bald einmal auf die Probe zu stellen, um zu sehen, ob sie wirklich nicht furchtsam sei. Als das Mädchen sich darauf wie gewöhnlich am folgenden Abend in die Kirche begeben hatte, schlich der Bräutigam, in ein Bettlaken gehüllt, ihr nach und suchte sich durch Gepolter und Gewinsel bemerklich zu machen. Sein Hund, ein großer schwarzer Pudel, war ihm gefolgt, ohne daß er es wußte. Das Mädchen gewahrte denn auch bald eine weiße Gestalt, die, von einer schwarzen mit glühenden Augen verfolgt, langsamen Schrittes auf sie zukam. Sie erschrak nicht wenig, nahm aber all ihren Muth zusammen und rief, als beide Gestalten schon ganz in ihrer Nähe waren ›Swartpoot, grip Wittpoot! Wittpoot, grip Swartpoot!‹ Und wie sie diese Worte gesprochen hatte, da jagten beide Gestalten wie toll hintereinander her, daß es kein Ende nehmen wollte. Das Mädchen aber entfernte sich schleunigst aus der Kirche und warf die Thüre hinter sich zu. Von dem Schreck aber, den ihr der unbesonnene Scherz ihres Geliebten eingejagt, hatte sie ihre frischrothe Gesichtsfarbe verloren. Sie war von Stund an schneeweiß im Gesicht und nach drei Tagen eine Leiche. Ihr Bräutigam dagegen und sein Hund wurden am andern Morgen todt in der Kirche gefunden. Als man sie nun wie eine Arme ohne Sang und Klang beerdigte, was an einem Dienstag Abend um 9 Uhr geschah, da läuteten mit einem male sämmtliche Glocken des Marienthurms, die Kirche war prachtvoll erleuchtet und die Orgel darinnen spielte mit sanften Tönen ein Sterbelied, ohne daß man die Ursache davon jemals hat ergründen können. Von da an schreibt sich die Sage ›vom bleichen Mädchen‹, und wenn späterhin am Dienstag Abend gegen 9 Uhr die Wächterglocke gezogen wurde, so hieß es in der Stadt ›Das bleiche Mädchen wird begraben.‹


G.F.C. Neumann bei Niederh. 3, 153 ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 1, Wien 1879/80, S. 381-382.
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