1420.

[281] Das feierliche Maireiten in Schweden und Norddeutschland war in älterer Zeit auch in Meklenburg wohl bekannt. In den Städten Schwedens und Gothlands pflegten im Mittelalter nach alter Sitte zwei Reiterschaaren junger Bürger am ersten Mai zu einem Festspiele auszureiten, der Führer der einen Schaar in Pelz und Winterkleider gehüllt, mit dem Speer bewaffnet, der Andere aber, Blumengraf genannt, unbewaffnet und mit Laub und Blumen geschmückt. Dennoch überwindet der Blumengraf seinen Gegner im Kampfe, an welchem auch das beiderseitige Gefolge Theil nimmt, indem er ihn zu Boden rennt, worauf das umstehende Volk ihm feierlich den Sieg zuerkennt. Das Maireiten und die Maigrafschaft war nun auch im nördlichen Deutschland mit geringeren oder größeren Abweichungen wohlbekannt, namentlich in Stralsund, Greifswald, Hildesheim, Köln u.s.w.1 Eben so finden wir auch in Wismar unzweideutige Spuren desselben Festes, welches hier in der Pfingstwoche von der sogenannten Papegoyengesellschaft, einer schon in der Mitte des[281] 14. Jahrhunderts bestehenden, ziemlich reich dotirten Zunft der wohlhabendsten Bürger der Stadt, gefeiert ward und dadurch noch an Interesse gewinnt, daß damit zugleich ein Papegoyen- oder Vogelschießen verbunden war, welches wenigstens in späterer Zeit als Hauptzweck der Innung erscheint. Aus den ältern Zeiten fehlt uns leider jede genauere Nachricht über den Verlauf dieses Festes, allein eine Schilderung des Festzuges aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts2 läßt im Vergleiche mit der angeführten schwedischen Sitte keinen Zweifel über dessen Bedeutung zu. Am Morgen des Pfingstmontags begab sich nämlich die Gesellschaft in folgender Ordnung zu dem Schießplatze vor dem Lübschen Thore hinaus: Voran ein reitender und aufs Beste geschmückter Knabe, von zwei Rathsdienern geführt; ihm folgte zu Fuß der vorigjährige König in der Mitte der beiden Bürgermeister, darauf der ganze Rath, und hinter diesem der sogenannte Maigraf, von zwei Schaffnern der Gesellschaft begleitet, endlich die gesammten Zunftgenossen, sämmtlich zu Fuß. Auf dem Platze angelangt, begann sofort das Vogelschießen, nach dessen Beendigung sich die Brüderschaft in demselben Zuge, dem sich diesmal auch die Frauen und Töchter anschlossen, anscheinend jedoch ohne den zugführenden Knaben, zum Tanze nach dem sogenannten Thiergarten vor dem Altwismarschen Thore hinaus begab, wo zuvörderst zwei Jungfrauen dem neuen König einen silbernen Becher überreichten, demnächst aber der alte und der neue König nebst drei Bürgern und vier Gesellen und eben so viel Frauen und Jungfrauen den ersten Tanz aufführten, den zweiten aber der Maigraf und seine Zugeordneten. Am folgenden Donnerstage oder Freitage gab endlich der neue König, nach einer sehr unvollständigen Aufzeichnung der Statuten der Gesellschaft aus dem Jahre 1379, ein Gastmahl (Krud), auf welchem auch der neue Maigraf für das folgende Jahr gewählt ward. Ueber den Zweck dieser Wahl gibt weder jene Aufzeichnung, noch irgend eine andere Nachricht die gewünschte Auskunft. Aus seinem Namen erkennt man jedoch mit Sicherheit den Repräsentanten des Sommers, während der allein in der ganzen Gesellschaft berittene[282] Knabe an der Spitze des Zuges ursprünglich ohne Zweifel den Winter vorstellte. Beide aber werden schon Morgens auf dem Schießplatze den alterthümlichen, mit der Besiegung des schwächeren Winters endenden Kampf ausgefochten haben, wodurch die ursprüngliche Veranlassung und die eigentliche im 18. Jahrhundert längst vergessene Bedeutung des Festes charakterisirt ward.


Beyer in den Meklenb. Jahrb. 20, 195 f.

1

Ueber das Stralsunder Maireiten s. Jahrb. VIII, S. 229 ff., wo Beispiele aus dem 15. Jahrhundert gegeben werden. 1564 ward es, nachdem es längere Zeit nicht gehalten, wieder eingeführt. Vgl. auch Baltische Studien, Jahrgang 1841.

2

Dietr. Schröder (Diacon. zu Wismar), Beschreibung der Stadt und Herrschaft Wismar, S. 134 ff. (1743). Vgl. Jahrb. VII, S. 179 ff. und VIII, S. 228. ff.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 281-283.
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