1491.

[307] Früher allgemein und theilweise noch jetzt ließ man beim Abmähen des Winterkorns auf jedem Felde einen Haufen stehen und weihte ihn feierlich dem Wode. Das älteste Zeugniß für diesen merkwürdigen Gebrauch enthält der ausführliche Bericht des Rostocker Predigers Nicolaus Gryse aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. ›Im Heidendome,‹ erzählt derselbe, ›hebben tor tydt der Arne de Meyers dem Affgade Woden umme gudt Korn angeropen, denn wenn de Roggenarne geendet, hefft man up den lesten Platz eins ydern Veldes einen kleinen ordt unde Humpel Korns unafgemeyet stan laten, dat sulwe baven an den Aren drevoldigen thosamende geschörtet unde besprenget, alle Meyers syn darumme hergetreden, ere Höde vom Koppe genamen unde ere Seysen na dersulven Wode unde geschrenckedem Kornbusche upgerichtet, unde hebben den Wodendövel dremal semplick lud averall also angeropen unde gebeden:


Wode,

Hale dinem Rosse nu Voder,

Nu Distel und Dorn,

Thom andren Ihar beter Korn!


Welcker affgodischer gebruck im Pavestdom gebleven, darher denn ock noch an dessen orden, dar Heyden gewanet, by etlycken Ackerlüden solcker avergelovischer gebruck in der anropinge des Woden tor tydt der Arne gespöret wert.‹

Diese Erzählung wird vollkommen bestätigt durch einen gleichzeitigen Bericht über den auf dem Lande herrschenden Aberglauben, wovon leider nur ein Bruchstück im Schweriner Archive enthalten ist. Darin heißt es ›Wan nemblich die Roggen-Ernte geendiget, lassen die Meyer auf dem letzten Stücke Ackers ein klein Plätzlein oder, wie mans nennet, Humpel roggen stehen. Densulven vnafgemeyten Roggen schurtzen sie oben an den arndten dreyfach zusammen vnd besprengen[307] ihn mit Wasser. Wan das geschehen, stellen sie sich samptlich mit gebloßeten Heuptern in einen beschlossenen Circul oder Kreyß herumb, richten ihre Seicheln auffwerts gegen den geschrenkten Kornbusch, rufen vnd schreyen vber laut:


Ho Wode, Ho Wode, du goder,

Hale dinem Rosse nu voder,

Hale nu Disteln vnd Dorn,

Thom andern Jar beter Korn!‹1


Eben dieses Gebrauches erwähnt auch der Präpositus Franck zu Sternberg in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, wobei er allerdings den Nicolaus Gryse als seinen Gewährsmann anführt, aber zugleich versichert, daß er selbst alte Leute gesprochen, welche sich dieser Feldlust noch aus ihrer Jugend erinnert hätten. Auch gibt er den Weihspruch etwas abweichend so an:


Wode! Wode!

Hahl dinem Rosse nu Voder!

Nu Distel und Dorn,

Ächter Jahr bäter Korn!2


Zu Franck's Zeit war also das eigentliche Wodensopfer schon außer Gebrauch, aber gleichwohl haben sich noch bis auf den heutigen Tag unzweifelhafte Spuren desselben erhalten. Noch jetzt nämlich sind die angeführten Verse in den Dörfern der Umgegend von Rostock bekannt, wenn auch nur in dem Munde der Kinder, und noch jetzt ist es eben dort Sitte, am Ende des Feldes einen Büschel Korn stehen zu lassen, wenn man ihn auch nicht mehr in feierlichem Gesange und Tanze dem Gotte weihet.


Beyer in den Meklenb. Jahrb. 20, 147 f.

1

Der Berichterstatter hat offenbar den Nicolaus Gryse vor sich gehabt, und vielleicht hat dessen Erzählung eben Veranlassung gegeben, darüber Bericht einzufordern. Dadurch wird aber dem Gewichte des letzteren nichts genommen.

2

Altes und Neues Meklenburg 1753, I, 57.

Quelle:
Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg 1–2. Band 2, Wien 1879/80, S. 307-308.
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