An eine rothaarige Bettlerin.

[93] Blaß Mädchen mit dem roten Haar,

Die Armut werden wir gewahr

Durch all die Löcher deines Kleids

Und deinen Reiz.


Dein schmaler Körper zeigt für mich,

Den schwachen, müden Dichter, sich,

Mit Sommersprossen überstreut,

Voll Süßigkeit.


Wie ihre Prunksandalen in

Romanen eine Königin,

So zierlich und gewandt trägst du

Die schweren Schuh.


Statt deiner Lumpen möge dir

Ein Hofgewand in reicher Zier,

Dess' Falten rauschend niedergehn;

Den Fuß umwehn.


Statt der zerrißnen Strümpfe soll

Dem Blick des Wüstlings anmutvoll

Ein goldner Dolch an deinem Bein

Sprühn lichten Schein;


[94] Daß Schleif und Band, gelöst, zerknüllt,

Für unsre Sünden froh enthüllt

Der schönen Brüste heiter Paar,

Wie Augen klar;


Daß deine schlanken Arme, Kind,

Dich zu entkleiden willig sind

Und leichter Schlag die Hand verjagt,

Die zuviel wagt.


Ein Perlschmuck rein und fehlerlos,

Ein zärtliches Sonett Belleaus

Bringt der Verehrer Sklavenschar

Dir huldgend dar.


Die Helden all der Reimerein,

Die ihre Erstlinge dir weihn,

Bewundern, wie dein leichter Schritt

Die Stufen tritt.


Manch Page, der auf Wagnis sann,

Manch ein Poet und Edelmann,

Sie schicken all ihr Sehnen nach

In dein Gemach.


[95] Es würden auf dem Lager dein

Mehr Küss' als Königslilien sein,

Manch Valois machte gerne sich

Zum Knecht für dich!


Indessen aber bettelnd ziehst

Durch arme Gassen du und siehst

Nach dem Gerümpel alten Schutts

Im Straßenschmutz;


Und schielst nach Schmuck hin, vielbegehrt,

Der keine zwanzig Pfennig wert,

Den ich dir, rechn es mir nicht an,

Nicht schenken kann.


So geh denn ohne Prunkgewand,

Riechwasser, Perlen, Diamant,

In magrer Nacktheit immerzu,

O Schönste du!

Quelle:
Baudelaire, Charles: Blumen des Bösen. Leipzig 1907, S. 93-96.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Blumen des Bösen (Auswahl)
Die Blumen des Bösen
Les Fleurs du Mal /Die Blumen des Bösen: Franz. /Dt
Die Blumen des Bösen: Französisch/Deutsch
Les Fleurs du Mal / Die Blumen des Bösen: Französisch/Deutsch
Die Blumen des Bösen

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon