X. Capitul.
Etliche Jäger werden von Ludwig in den Wald geschicket.

[118] Wenn Unglück, Furcht und Schrecken blitzt,

So kommt ein andrer, der uns schützt.


»Mein lieber Eremit,« gab der Jäger zur Antwort, »es ist freilich nicht ohne, daß in dieser Gegend wohl der tausendste Jäger, viel weniger ein anderer Mensch niemalen gewesen ist. Aber die Ursach unsers so weiten Herumstreifens wird verursachet von einer Hochzeit, welche über acht Tage auf dem Schlosse eines Edelmannes solle vollzogen werden.

Wir dienen einem Freisassen namens Ludwig, auf dessen Schloß enthält sich schon ein halbes Jahr her eine schöne Dam namens Caspia, die ihresgleichen schwerlich in der Welt haben wird. Es ist noch kein Jahr, als sie sich mit einem Kerl in ein heimliches Verständnis eingelassen. Derselbe muß[118] ohne allen Zweifel nicht wohl sein bei Sinnen gewesen, denn er hielt sich selbst vor einen Schinderssohn, welcher er doch nicht war, sondern er ist dem gemeinen Ruf nach von seinem Vater von Jugend auf mit dieser wunderlichen Meinung aufgezogen worden, dadurch er Ursache und genugsamen Grund bekommen, sich selbsten vor verachtet zu halten, ob er schon in dem Werk selbsten von einem alten Geschlechte des Landes entsprossen. Seine Qualitäten sind dermalen nicht anders bekannt, als was Unterschiedliche vom Adel von demselben bishero rühmlich berichtet haben, und erscheinet aus dem, daß er ein wackerer Mensch müsse gewesen sein, weil Caspia nach seinem Hinwegscheiden in tausend traurige Verwirrungen geraten, dadurch sie gezwungen worden, das Gut zu verlassen und sich in eine Einöde zu begeben, darinnen sie auch durch zwölf ganzer Wochen ein recht scharfes und eremitisches Leben geführet.

Es trug sich aber ungefähr zu, daß mein Herr in der Wildnis herumritt, daselbsten die Forste aus- und abzuteilen, als er ihrer mit großer Verwunderung in einer Steinhöhle gewahr wurde; brachte sie endlich mit sich heraus und hat sie so viel beredet, auf seinem Schloß zu wohnen und ihr voriges Leben anzufangen. Sie hat gefolget, obwohl ganz gezwungen. Aber Monsieur Ludwig, als er erfahren, daß ihr gewesener Liebster nimmermehr und nirgends anzutreffen sei, beredete er sie so weit, daß sie sich mit einem vom Adel in ein eheliches Gelübde einzulassen schien, obschon hierinnen sonderliche Practiquen steckten, welche der Bräutigam durch Finanzereien angestiftet. Er heißet mit Namen Faustus und ist ein Jüngling, der vor allen den Ruhm und Vorzug alleine hat. Seine Güter sollen sich in zwei Tonnen belaufen, aber dem allen ungeachtet, weinet doch die Jungfrau Tag und Nacht, weil sie sich nicht entschließen kann, das Gedächtnis des Vorigen aus ihrem Herzen zu jagen. Sie erbarmet allem Schloßgesinde, und wie es scheinet, so dörfte wohl gar nichts aus der Hochzeit werden, denn es kam neulich ein junger Edelmann namens Isidoro auf das Schloß, welcher meines Herrn vertrautester Freund und Bruder ist. Derselbe brachte Bericht, daß er den vorigen Liebhaber[119] nicht allein in der Ferne wieder angetroffen, sondern denselben auch mit sich nach Haus gebracht.

Nun ist sichs zu verwundern, was vor eine große Irre in dieser Sache entstanden; denn als Caspia aus Unmut und großer Melancholey das Schloß verlassen, gegen den Wald gegangen und in demselben ein so scharfes Leben angefangen, hat sie ganz heimlich und im verborgenen ihre Muhme an ihre Stell auf das Gut gesetzet, [ihr] auch all dasjenige eigen übergeben, was sie zuvor im Besitz gehabt.

Diese ihre Muhme war eine ausdermaßen artige Jungfer, und konnte man unter beiden keinen großen Unterscheid finden. Sie nennete sich zu mehrerm Behuf auch Caspia, wurde aber unversehens mit einer schnellen Krankheit überfallen, dadurch sie ins Grab gebracht und neulich beerdigt worden. Nach dem Tod dieser Caspia nahm Monsieur Ludwig als der nächste Erbe das Gut in Besitz, aber nachdem er die rechte Caspia mit Verwunderung und wider alles Verhoffen nach vorerzählter Historia in einem groben und rauhen Wald zwischen spitzigen Steinklippen angetroffen, hat er ihr das Erbe wieder eingeraumet, ob sie sich schon entschlossen, nicht das geringste Wort mehr davon zu hören.

Ich habe Euch kurz zuvor gesaget von der Wiederkunft des Isidori auf unser Schloß und zugleich von der fröhlichen Post, die er an die Caspia nach entdecktem Zweifel abgeleget, aber die Jungfrau hielt alles nur vor einen traumenden Trost, der viel mehr zu peinigen als die Pein zu lindern pflegte. Auf solches ritt mein Herr mit ihm in eigener Person auf des Fremden Gut, welchen sie Zendorio hießen, kamen aber leider mehr als gar zu traurig wiederum zurücke, indem sie keine andere Nachricht von ihm einholen können, als daß er in einer Nacht wider Verhoffen das Schloß ganz heimlich verlassen und sich zweifelsohne in einen solchen Ort begeben hätte, darinnen er nimmermehr würde zu finden sein.

Diese Zeitung brach der betrübten und noch lebenden Caspia fast gar das Herze, und sie wußte lange nicht, wie sie sich darein schicken sollte. Faustus aber hat bei so beschaffener[120] Sache seine Gelegenheit in Obacht genommen, und stehet dahin, ob ihr eheliches Verlöbnis ehestens vorbeigehen dörfte, weil wir ausgeschicket worden, zu solchem etliche rare und kostbare Tiere aufzusuchen. Und dieses ist eigentlich der Weg und die Ursach, welche uns in diese abscheuliche und von allen Menschen abgesonderte Wildnis getrieben, sonst hätten wir nimmermehr die Gelegenheit gehabt, Euch frommen und einsamen Menschen mit unserer Hülfe beizustehen und Euch aus einer solchen Gefahr zu erretten, in welcher manch ehrlicher Kerl zuschanden gegangen.«

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 118-121.
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