I. Capitul.
Artige Fügnis bei der Hochzeit. Pilemanns Ankunft auf das Schloß. Ein Page schiebt Kegel. Das gesalbte Gaukelseil.

[128] Die Welt ist stolz, hochtrabend, keck,

Ihr Wesen ist beschmiert mit Dreck.


Bis hieher habe ich mit großer und weitläuftiger Erzählung zugebracht, wie manche Abenteuer mir bis gegenwärtige Stunde wider mein Verhoffen zugestoßen und welch einem Unfall ich bis dahero unterworfen gewesen. Hinfüro aber wird meine Feder beflissen sein, meine folgende Zustände ganz deutlich zu entwerfen, wenn ich zuvor dieses einzige werde vor meine Person gesprochen haben, daß ich in Beschreibung dieser Historia nicht des Willens bin, jemandem an seiner Ehre zu nahe zu kommen, sondern werde es dermaßen glimpflich unterfangen, daß auch diese, so dadurch getroffen werden, vielmehr lachen als sich gegen mir in unbilligem Zorn bewegen sollen.

Es ist auch diese Schrift nicht darum unterfangen worden, damit man die Leute, wes Standes dieselben auch seien, durch die Hechel ziehen und sie der Welt als ein Muster alles Übels vorstellen möchte. Nein, sondern man hat ihnen zu Gefallen und ihrem eigenen Besten die Laster zugleich abgemalet, auf daß dadurch nicht die Personen, so damit behaftet, sondern nur die Unarten an und vor sich selbst gestrafet würden. Und was ist es wohl vor eine Lust, seinen Nächsten durchzuziehen, da wirs doch selbst nicht gerne sehen, daß wir durchgezogen werden? Aber der Leser soll wissen, daß ich mich von diesem Übel keineswegs ausgeschlossen habe,[128] wenn ich frei gestehe, daß ich unter allen der Lasterhafteste sei. Oder glaubet vielleicht jemand, daß ich durch dieses Buch ihn oder einen andern geärgert? So muß es nur geschehen sein aus einer Ursach, die demjenigen alleine bewußt, so sich geärgert befunden. Und wer wird endlich unter so viel Tausenden allen recht tun können? Das ist so unmöglich, als man dem Unreinen etwas Reines schreiben kann, weil sie gleich sein denjenigen, so mit der wassersüchtigen Krankheit behaftet, welche auch die beste Speis und Trank in Wasser verkehren und ihren Untergang von einer solchen Sache nehmen, die ihnen zur Gesundheit dienen solle.

Meine bis gegenwärtige Stunde wunderliche Begebenheit hat den Leser genugsam unterrichtet, wie in einer großen Mühsamkeit der Mensch stets und ohne Unterlaß in der Welt herumschweben muß und was vor grausamen Verleitungen er unterworfen ist, so er sich selbst nicht klug zu regieren weiß. Er hat gesehen, daß es mir auch in meinem höchsten Grad der Glückseligkeit sehr widrig gegangen, und bin nur allein deswegen unglückselig gewesen, weil ich meine Glückseligkeit nicht erkennen können. Nun ist nichts mehr vonnöten und wird mir auch nichts angelegener sein als die Erzählung meines folgenden Lebens.

Meine Hochzeitfreude lief endlich zum erwünschten Ende, und Ludwig stund nach vollendetem Tanz schon bereit, mich mit zwein brennenden Fackeln über den Schloßhof in meine Kammer zu begleiten, darinnen ich mit der Caspia schlafen sollte. Er ging demnach als Marschall voran, und nach ihm folgeten welche von Adel, denen die Spielleute nachgingen, und in einer solchen lustigen Procession folgeten wir untereinander drein, daß ich wohl sechs Bogen vollschmieren könnte, so ich alle Hagelspossen erzählen wollte, die wir in gegenwärtiger Reihe vorgenommen. Anstatt ich aber vermeinte, in die Kammer zu kommen, führte uns Ludwig auf einen weiten Saal, darinnen man anfing zu springen und zu tanzen, bis es endlich Tag ward.

Ich hatte keine sonderliche Lust zu tanzen, sondern soff mit Ludwigen und Isidoro indessen eins aus der großen Flasche, darüber ich so blitzvoll ward, daß ich Sehen, Hören und[129] Reden vergaß, gleichwie ehedessen auf seinem Schlosse. In solchem Zustand brachte man mich zu Bette, da ich nicht wußte, ob ich ein Manns- oder Weibsperson sei. Ja, ich kann sogar nicht vermelden, wie und auf was vor eine Weise ich aus den Kleidern gekommen, und sagte mir Isidoro des andern Tages mit ziemlichem Gelächter, daß ich bei solcher Entkleidung all dasjenige hergewiesen und öffentlich aufgezeiget hätte, was ich von der Natur zu Fortpflanzung meines Geschlechts mitbekommen hatte.

Es war in ziemlicher Dunkelheit, da ich in dem Bette erwachte, weil ich zuvor wegen gar zuviel hineingegossenen Weines in augenblicklichen Schlaf gefallen. Deswegen wandte ich mich auf die Seite und herzete die Caspia wohl tausendmal nacheinander. Ich druckte sie an mich, und weil sie sehr hart schlief, erweckte ich sie ganz gemählich. Aber sie hielt sich in solchem Schlaf mit allen vieren dergestalten an die Bettstatt, daß ich sie weder mit Gutem noch Bösem von der Stelle zu wenden vermochte. Der Wein war mir noch ziemlich im Kopfe, deswegen urteilte ich, daß aus Ursach dessen Caspia entweder gar wenige oder gar keine Lust hatte, mit mir als einem berauschten Menschen umzugehen, ließ es demnach immer gut sein und legte mich auf die andere Seite, den Rausch gänzlich auszuschlafen.

Als ich nun zum andern Mal erwachte, scheinete mir die Sonne schon auf das Bett und in die Kammer. Ich richtete mich behend in die Höhe, und als ich meiner Caspia, die ich diese Nacht soviel unzähligmal mit Seufzen und Küssen umfangen, einen guten Morgen zu wünschen willens war, wurde ich recht von Herzen beschämet, denn ich fand anstatt derselben Monsieur Ludwigen mir an der Seite liegen, welcher auch diese vergangene Nacht bei mir geschlafen hatte.

Ich sprang alsobald aus dem Bette. Aber indem ich die Hosen an den Leib warf, übereileten mich die sämtlichen Hochzeitgäste, so sich durch die ganze Nacht samt der Caspia mit Tanzen und andern bei dergleichen Begebenheiten gebräuchlichen Spielen ergötzet. Es ist nicht zu sagen, wie höhnisch sie mich ausgelachet und mit meinem Beischläfer[130] vexiert haben. Ludwig selbsten verursachte noch das größte Gelächter, indem er mit geraumen Umständen erzählet, welchergestalten ich ihn diese Nacht vor einen Baum gehalten, weil ich ihn ohn Unterlaß besteigen wollen. Das Frauenzimmer zerriß fast Mund und Nase über dieser Relation, und weil ich sah, daß es nicht anders sein konnte, so trug ich meine vier Heller mit unter. Und solchergestalten schraubete bald einer den andern, und ich schämte mich von Herzen, daß ich mich gegen Bruder Ludwigen so bloß gegeben hatte, welches mir doch keinesweges zu verargen war, weil ich in dem Trunk gleich einem Sinnlosen herumgeschwärmet und närrische Händel genug vorgenommen habe, wegen welcher ich von Isidoro und den übrigen Gästen ziemlich durch die Hechel gezogen ward.

Indem wir solchermaßen in der Kammer miteinander redeten, kam ein Laquay gelaufen, welcher mitbrachte, daß Monsieur Pilemann, als mein Herr Vater, auf dem Schlosse angekommen, und durch dieses Mittel mußten sie nachlassen, mich länger zu schrauben, welches sie sonsten schwerlich innerhalb einer Stunde würden haben unterwegen gelassen, zumalen sie mich ohnedem durch den ganzen folgenden Tag angestochen, und muß die Wahrheit bekennen, daß ich fast zu zweifeln angefangen, ob sich nicht auch Caspia unversehens möchte verirret und mir zum höchsten Nachteil sich also zu einem andern geleget haben. Und ob ich mich dessen gleich nichts merken ließ, gedachte ich doch desto mehr und sehe nun im Ausgang, daß ich dazumal ein rechter argwohnischer und eingemachter Narr gewesen, der seinen allerbesten Freunden eine solche Sache beimessen dörfen, an die man ohne großem Verbrechen der wahren Freundschaft nicht gedenken kann. Und dahero fragte ich überall nach, wo doch Caspia geschlafen hätte, und weil sich auf Hochzeiten alles gerne will großmachen oder auf das wenigst jedermann gerne der nächste bei dem Bräutigam ist, schlich sich ein Aufwartmägdgen zu mir und erzählte mir bei Treu und Glauben, daß die Caspia bei der Frau Ludwigin gelegen, welche beide über eine Stunde nicht geschlafen hätten, weil man ohne Unterlaß getanzet.[131]

Ich saß gleich dazumal auf dem Repositorio des Nacht-Königes und mußte von Herzen lachen, daß ich der Magd so ehrbare Audienz erteilen könnte. Aber solche Abgesandte sind keiner bessern Canzeley wert, und reuet mich noch bis gegenwärtige Stunde, daß ich ihr nicht zum Recompens vor ihre Legation den Arschwisch verehrt habe, aus welchem der geneigte Leser leichtlich wird schließen können, daß ich vor lauter Liebesgedanken alle nötige Sachen vergessen und auf die Seite gesetzet habe.

Mein Vater weinete vor Freuden die lichten Tränen, und seine meiste Salutation bestund in einer Abbitte, die er mir deswegen tat, daß er den leichtfertigen Landstreichern, den ehrvergessenen Zigeunern, so leichtgläubig gefolget und mich in einem so verteufelten Wahn unter dem Bauervolk hätte aufziehen lassen. Er wollte solche Unbilligkeit mit seiner väterlichen Liebe tausendfältig ersetzen und mir vor der Schwester 18000 Ducaten zum voraus vermachen, auch das ganze Testament dergestalt einrichten, davon ich keine geringe Ursach haben sollte, seine väterliche Vorsorge nach seinem Tode zu rühmen. Er hatte auch zu gegenwärtiger meiner Hochzeitfreude tausend Ducaten und zweitausend Specie-Taler mit sich gebracht, welche er mir nebenst Einraumung eines Landguts hiermit samt aller Zugehör wolle eigentümlich cediert und übergeben haben. Solchermaßen wurde ich von meinem Vater beschenket, welcher auf nichts mehr bedacht war, als mich bei gutem Laun zu erhalten. Die Frau Ludwigin war indessen bemühet, dem Frauenzimmer eine sonderliche Kurzweil auszusinnen, denn diesen Tag waren unterschiedliche andre von dem Land angekommen, welche ihre Lust bei dieser Freude beitragen wollten.

Auf dem Schlosse war ein Koch, der von Jugend auf als ein Gaukler unter den Polacken herumgezogen, mußte er uns in der Tafelstube fast den halben Morgen mit Gaukeln zubringen. »Bruder,« sagte mir Monsieur Ludwig ins Ohr, »lerne von dem Koch etliche Lectiones, sie werden dir heut nacht trefflich zustatten kommen!«, darüber ich von Herzen lachen mußte. Und als mich Frau Ludwigin deswegen fragte, was mir zu solchem Gelächter Ursach gegeben, erzählte ich[132] ihr den artigen Vorschlag ihres Hauswirts, aber sie sagte, daß ich solches selbst erfunden und sie nur betrogen hätte, ob es schon männiglich, absonderlich aber der Frau Ludwigin bekannt war, daß ihr Mann ein sonderlicher Scopticus war, der die Leute nicht allein lustig machen, sondern dieselben auch in allem behaglichen Scherz trefflich unterhalten konnte.

Caspia hatte sich indessen an dem artigen Gaukler halb versehen, und Ludwig sagte ihr ingleichen ins Ohr, daß heute nacht noch ein artigerer Gaukler über sie kommen werde. Und weil er die Wort etwas laut geredet, ward sie darob dergestalten beschämet, daß sie auf den Saal hinauslief und daselbsten den andern Jungfrauen zusah, welche mit ledernen Sandkugeln bosselten, denn Monsieur Ludwig hatte ihnen eine güldene Halskette zum Gewinst aufgeworfen, welche er aber durch folgenden Vorteil wieder an sich selbst brachte:

Er hatte einen Page von sonderlichem Angesicht, seine Gestalt war recht weibisch und war von verborgener Art, einen gegen ihm verliebt zu machen, voraus aber diejenigen, welche nicht vermocht haben, sich durch eine gute Vernunft zu regieren. Dahero kleidete er solchen ganz alleine in seiner Kammer an. Er satzte ihm die allerzierlichste Florhaube auf, die er unter allen Kleidern seiner Frauen finden konnte, und nach allem solchem weibischen Aufputz mußte der Page unter die spielende und bosselnde Compagnie treten, allwo ihn der Ludwig vor eine seiner Basen ausgab; und dahero bekam er gute Gelegenheit, das ausgesetzte Geschenke selbst zu gewinnen, weil der angekleidete Page ein Hauptboßler war, als man einen in dem ganzen Schlosse sollte gefunden und aufgetrieben haben.

Das Frauenzimmer verwunderte sich über die absonderliche Hurtigkeit der neuen Damen und gestunden ungezwungen, daß sie dergleichen Behendigkeit noch von keiner ihresgleichen gesehen. »Madamoselle,« sagte der Page zu ihnen, »das Spiel habe ich von Jugend auf getrieben, denn meine Frau Mutter duldete außer diesem keine andere Kurzweil auf ihrem Schlosse, und dahero haben Sie sich nicht zu verwundern,[133] warum ich mehr Kegel umwerfe denn Sie.« Hiermit schob er hin und traf von dem Ziel alle neune, und Ludwig höhnete die andern alle aus, daß sie sich von dieser seiner Muhmen dermaßen in den Sack schieben lassen.

In dem obern Zimmer wurde inzwischen gesoffen und in dem Brett gespielet. Etliche machten ein Dick-Dack, andere versetzten, die dritte Partei machte ein Damen-, die vierte ein Torwärterspiel, und in einer solchen Lust verging die Zeit, und hielten sie alle vor gar gut angewendet, außer denjenigen, die sich in dem Trischacken zu weit in die Flüsse gestürzet hatten.

Ludwig hatte zum Vorrat einen Seiltänzer verschrieben, welcher nach der Abendmahlzeit gleich einem brennenden Vogel von dem höchsten Turm des Schlosses in den Hof herunterfahren sollte, aber weil der Tänzer forchte, es dörfte ihm mit den Raqueten mißlingen wie dem unglückseligen Atavan zu Regenspurg, bat er den Isidoro, ihm zu vergünstigen, daß er ohne Feuer heruntergaukeln möchte, welches ihm endlich zugelassen worden mit der Auflage, daß er schuldig sein sollte, den Proceß zu erzählen, wie und wasgestalten der Atavan zu Regenspurg heruntergefallen und gestorben sei. Damit ging er auf den Turm, aber der leichtfertige Isidoro hatte das Seil mit Menschenkot überschmieren lassen, davon der Gaukler in seiner Herabkunft dermaßen gestunken, daß das Frauenzimmer die Naslöcher mit den Servetten verstopfen mußten, darüber sich Isidoro und Ludwig fast krank gelachet.

Nach dieser Lust litt man mit einer Glocke zum Abendessen. Monsieur Ludwig fragte das Frauenzimmer, wer sein Geschenke gewonnen. Dem gab man zur Antwort, daß seiner Jungfer Muhmen hierinnen der Ruhm zustünde. Hierüber bekam er Gelegenheit, noch stärker zu lachen, indem sie von ihm so augenscheinlich betrogen worden, welches sie erst alsdann vermerkten, als die Muhme des Ludwigs nicht zur Tafel kam. Das Frauenzimmer fragte wohl tausendmal um sie, aber Monsieur Ludwig entschuldigte solche, mit Vorgeben, sie hätte sich dermaßen an dem Kegelspiel abgemattet, daß sie sich zu Bette begeben müssen. Der Page war[134] schon wieder ausgezogen und stund seinem Herrn an der Seite, lachte derohalben immer in einem Stück, und Ludwig trieb donnerische Hagels-Possen untereinander, davon sie fast halb toll waren. Inzwischen kam der Seiltänzer vor die Tafel, welcher ein hauptartiger Kerl war. Weil wir aber da zumal andere Zeitvertreibungen vorhatten, als mußte er mit seiner Erzählung bis morgen innenhalten.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 128-135.
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