VIII. Capitul.
Die Grabschrift [315] in forma. Monsieur Caspar macht mit der Kunigund Hochzeit, und wie es da zugegangen.

Man findet mehrer Stroh als Hirn,

Wenn Narren in der Schrift studiern.


Was der Schreiber mit diesem Concept vor eine Lust erweckt, ist leichtlich zu schließen. Dahero war Isidoro um so viel desto begieriger, die folgende Verse zu lesen, welche nach der vorhergehenden Meinung eingerichtet waren und hießen, wie hernach folget:


Die erste Ursach, lieber Christ,

Warum die Frau gestorben,

Ist gewesen ihr Lebens Frist.

Damit hat sie erworben

Den Tod, o Not!

Es ist ihr doch kein Spott.
[315]

Die andre Ursach ungefähr

Ist wahrlich nur gewesen,

Dieweil sie kam vom Fleische her,

Wie ihr allhier könnt lesen:

Sie starb, verdarb,

Verlor ihr alte Färb.


Die dritte Ursach, wie sie ist

Gestorben will ich sagen:

Sie starb am Bett, nicht auf dem Mist,

Zwölf Träger haben sie getragen

Hinab, ins Grab.

Isidoro besitzt ihr Hab.


Causa finalis, diese sei,

Auf daß sie nicht mehr aß,

Halt ich in meiner Phantasey,

Darauf ich mich verlaß.

Sie liebte mich, inniglich,

Ihr Schreiber war ich.


Den Ort, da sie die Welt vergaß,

War eine große Kammer.

Der Tod ihr dort das Milz abfraß,

Ohn sondern Schmerz und Jammer.

Drum so weiß, mit Fleiß,

Sie ist im Paradeis.


Sie ist geborn von Adel gut,

Wie mancher hat erfahren,

Ihr Vater trug ein eisern Hut,

Im Krieg von dreißig Jahren.

Sie liegt da, ach ja,

Ich sing nicht: Alleluja.


Wohin sie aber gezogen ist,

Das kannst du leichtlich wissen,

Wenn du ohndem bei Sinnen bist,[316]

Sonst sein sie dir zerrissen:

In den Himmel, ohn Getümmel,

Glaubs, ich schenk dir einen Schimmel.


Willst wissen, wie alt sei ihr Geschlecht?

So alt als meine Hosen,

Die schon dreihundert Jahr gar recht

Gemacht worden in dem Wald. Schosen

Liebt sie und ihr Herr, nimmermehr.

Ich war bestellter Hofschreiber.


In specie aber war sie alt

Sechs mal funfzehn Jahre,

Sie war gar hübsch und wohlgestalt,

Hatt' anfangs gelbe Haare.

Darnach warn s' weiß, mit Preis,

Sie hatte keine Läus.


Ein Mensch ist sterblich allezeit,

Deswegen muß er sterben.

Der Spruch ist kundbar weit und breit,

Darob sich viel entfärben.

Tod ist kein Narr, fürwahr,

Er geht Fuß-bar.


Der Mensch ist ein verständig Tier,

Das kann man daher sehen:

Trinkt lieber Wein als braunes Bier,

Lobt Reuten vor dem Gehen,

Große Klugheit, jederzeit,

Stärker als Bären-Häut.


Es hat ein jeder duo pes,

Das heißt auf teutsch: zwei Füße,

Das ist fürwahr ein vera Res,

Obs dich auch gleich verdrieße.

Drum stirbt er auch, wie der Gebrauch,

Mit zweien Füßen wie ein Rauch.
[317]

Mit zwei Bein stirbt gar keiner nicht,

Wenn eins wird abgeschossen,

Aber, wie ich dich bericht',

Es sind nur Kinderpossen.

Unser Frau fein hat zwei Bein,

Sie waren ihr und nicht mein.


Nun fragt sichs, ob Johannes Sachs,

Der Mann von großem Leder,

Auch wert sei eines Lichtlein Wachs,

Weil er sagt durch die Feder,

Daß Streckenbein der Tod soll sein,

Pfui Teufel, ich schiß darein.


Isidoro wollte gleich weiterlesen und die übrigen sechs Strophen noch absolvieren, wenn ihm nicht die Zusia den närrschen Zettul aus den Händen gerissen. »Pfui,« sagte sie, »was ist der Schreiber vor ein garstiger Zotenreißer!« – »Nun merke ich,« antwortete Ludwig, »warum er sich auf das Secret retirieret, ist das nicht ein Narr, einer Edelfrauen eine solche Grabschrift zu machen? Welcher Teufel in der Hölle soll einen solchen Grabstein herbringen, auf den man die Schnacken einhauen könnte? Ja, ich glaube, daß mancher Kirchhof darzu viel zu enge wäre.« – »Bruder,« sagte er zu Isidoro, »dein Schreiber ist ein Narr. Laß ihn wieder los, ich will dir selbst ein paar Zeilen aufsetzen. Was willst du mit dem Esel anfangen? Mein Rat wäre es, du gäbest dem Schreiber durch diesen Winter nichts zu tun, als gewisse Themata zu tractieren. Denn dardurch würdest du nicht allein, sondern alle, die es unter Augen bekämen, zu lachen genug haben. Denn es ist gewiß, daß manch studierter Mensch mit Fleiß nicht so irrgehen kann, wie dieser, in Meinung, was Hohes zu verfertigen, irregehet.« Isidoro war es zufrieden, und zum Ende dessen verzeichnete er allerlei Titulos, über welche der Schreiber seine Auslegungen und Einfälle beschreiben und in gebundener Rede entwerfen sollte.

Hierauf wurde er aus dem Secret zitiert, und Ludwig fragte[318] ihn, wer sein Vater wäre und wo er studiert hätte. Aber er gab weiter nichts zur Antwort, als daß sich seine Mutter, da sie mit ihm schwanger gegangen, an einem armen Manne versehen hätte, daher wäre er gezwungen worden, auch arm zu sein. Was sein Studieren anbelangte, hätte er nichts aus der Theoria, aber alles der bloßen Praxi zuzuschreiben, nach dem lateinischen Sprüchwort: solus & artifices, qui facit usus erit. Er hätte auch einmal einem Gastwirt einen Truthahn gestohlen und hernachmals auf das Haustor geschrieben: O mihi præteritum, referat si Jupiter Truthahn! Und dieses wäre sein ärgster Possen gewesen, den er die Zeit seines mühsamen Lebens gerissen, bis daß er das Schreiberhandwerk gelernet, seine Wanderschaften verrichtet und also in derselben Profession wäre licentiatus calami geworden, das ist, daß er die Freiheit habe, eine Feder groß oder klein, kurz oder lang, mit oder ohne Schnitt zu temperieren, zu schneiden und zu formieren, wie es ihm beliebte und anstünde. Und solchergestalten wäre er licentiatus calami und dörfte ihm gar kein ehrlicher Mann einen Eintrag tun, es wäre denn ins Secret oder heimliche Gemach, welches der Nachtkönig mit seinen Leuten wieder ausräumen und also den Austrag tun müßte.

Nach allen diesen vorgeloffenen Sachen satzten wir uns in etliche Schlitten, darinnen die Zeit zu verkürzen, weil uns die Köpfe in der Wärme gar zu dämisch werden wollten. Demnach fuhren wir sowohl in dem Schloßhof als auch auf offenem Felde, doch ohne Geläute, herum. Und weil sich zu solcher Lust gar viel Frauenzimmer von den nächsten Schlössern und Edelmannshäusern eingefunden, wurf einer da und der ander dort eine Jungfrau über die Kufen in den Schnee hinein. Aber etliche waren unter dem Frauenvolk so klug und legten Hosen unter die Röcke an, dadurch sie ein merkliches Einsehen verhindert haben. Andere satzten große eiserne Gluttöpfe unter den Rock, damit der Podex nicht Schaden litte, aber wenn sie umgeworfen wurden, waren ihre Pelze von dem Feuer dergestalten zugerichtet, daß sie samt dem Hemd auf den Brand zu betteln verursacht wurden. Eine solche Lust hatten wir in unserer Trauer, und[319] wenn es füglich sein konnte, brachten wir wohl gar Spielleute auf das Schloß, dabei wir allerlei Kurzweil verübten.

Eines Abends, als ich mit meinem Flötlein an einem Fenster gegen die Straße gestanden und mich daselbst zum Abzug resolviert, kommt ein reitender Bot' an, welcher von dem Caspar oder gewesenen Seilfahrer Brief brachte, daß seine Hochzeit mit der Jungfer Kunigund nunmehr richtig und geschlossen sei. Es war ein ziemlich großes Paquet, in welchem nichts anders als nebengeschlossene Briefe an mich, Ludwigen und noch viel andere eingeschlossen waren. Derowegen resolvierten wir uns kurz und gut untereinander, und obschon Isidoro noch in frischer Trauer begriffen war, dispensierte doch der Geistliche so weit, daß er mit seiner Liebsten wohl auf die Hochzeit gehen, aber bei Leib und Leben nicht tanzen dörfte. Demnach satzten wir uns in etliche Gutschen, bei der Hochzeit des arglistigen Caspar zu erscheinen, weil wir ihm solches ehedessen so gewiß versprochen, kamen auch auf das Schloß, ehe der andere Tag vergangen.

Man erwies uns daselbsten alle mögliche Ehre, und weil uns Caspar ehedessen auf meiner Hochzeit einen solchen Possen gerissen, indem er sich in verkleideter Person eingefunden, bezahleten wir ihn mit gleicher Münze; denn Isidoro kleidete den Schreiber als einen Prinzen heraus und gab vor, wie es ein junger Freiherr von einem gewissen Stamm wäre, von welchem Monsieur Caspar ehedessen große Promotion genossen hätte. Aus dieser Ursach wurde er gezwungen, dem verstellten Schreiber alle Ehre zu erweisen, und der Schreiber hatte schon genugsame Nachricht, sich in alle Sachen zu schicken, ob er schon sonsten ein ziemlich dummer Narr war.

Es gingen wohl acht Tage vorbei, ehe die Braut ankam, und wie wir am gewissesten verhofften, daß sie ankommen sollte, kam Botschaft, sie wäre heimlich durchgegangen, da saß Monsieur Caspar in seinen weiten Hosen und wußte nicht, sollte er lachen oder weinen.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 315-320.
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