XI. Capitul.
Artige Eröffnung der Geschicht wegen der Gräfin in dem Bade, und wem sie eigentlich begegnet. Ein gar zu scharfer Richter kriegt von einer Hur wunderseltsame Antwort.

[332] Ein andrer hat die Schlacht getan,

Ein andrer trägt den Ruhm davon.


Dazumal stieg die Sonne schon etwas höher, und die Jungen hörten allgemach auf, die Schuhe mit dem Eisfahren zu verderben, als wir aus dem Schlosse schieden. Der Irländer gab uns das Geleite, und unerachtet wir geglaubet, bei seiner Hochzeit zu erscheinen, war doch alles noch in weitem Felde, weil seine Affection gegen seiner Liebsten diesen Winter ziemlich eingefroren war. Soviel man auch von ihm vermerken konnte, hatte er solchen Vorsatz gänzlich auf die Seite gesetzet, denn er war entschlossen, ein Capucinermönch zu werden oder aber gar einen Eremiten und Einsiedler zu agieren. Er sagte, daß er nächst seinem Schlößlein einen bequemen Ort zur steten Wohnung auserwählet, in welcher ihn kein Mensch möchte zu sehen bekommen. Das Schloß wollte er zu einem Spital der reisenden Personen machen, und er wollte indessen eine lange und weite Wallfahrt tun.

In solchem Discurs schieden wir voneinander. Isidoro konnte sich ob dem schnellen Beginnen des Irländers nicht genugsam verwundern, weil er sonsten sein Leben lang ein lustiger Kopf gewesen und jederzeit viel vom perfecten Frauenzimmer gehalten. Ich hielt mich nebenst meiner Liebsten nach seinem Hinscheiden noch drei Tage bei dem Isidoro auf, und dorten mußten uns unterschiedliche abgedankte Soldaten, welche sich mit ihren Abschieden vor dem Tor angemeldet, ihren Lebenslauf erzählen, davon ich allein ein ganzes Buch auszuarbeiten hätte. Nach solchem nahm ich vor diesmal von Isidoro Urlaub und schied mit meiner Liebsten aus dem Schlosse, hatte auch ziemliche Zeit, weil ich sonsten gewiß meinen Schlitten auf einen Wagen legen und mich samt demselben hätte müssen über Land führen lassen, denn das Wetter tauete allenthalben auf. Und solchergestalt kam ich gleich noch zu Hause, da es Zeit war.[333]

Sobald ich abgestiegen, sagte mir der Schreiber, daß ein Student auf mich wartete, welcher ein paar Wort mit mir zu sprechen verlangte. Ich ließ ihn vor mich, aber sein Anbringen bestund in nichts als in Begehrung eines Zehrpfenniges, welchen er bei so beschaffner Zeit höchst nötig hatte. Das meiste, so mich contentierte, war, daß er überaus artig Latein redete, und allem Ansehen nach war er ein singularer Kopf. Er vermeldete unter anderm, daß er ehedessen von denen von Adel großen Favor genossen und sich bei einem aufgehalten hätte, welcher Caspar geheißen. Demselben sei er willens, auch vor dieses Mal zuzureisen und sich bei demselben um einzige Condition zu bewerben. Aus diesem vermerkte ich, daß es der Student sei, von welchem Monsieur Caspar seine erzählte Geschicht entlehnet, bekam dahero um so viel desto größers Verlangen, ihn als den Principaln von der ganzen Sache reden zu hören, worzu er sich gar leichtlich verstanden. Fing also auf mein Begehren folgenden Discurs an:

»Monsieur, die Fortun treibt mich gleich einem Schiff au dem Meer herum ...« (Hiermit erzählte er die Geschicht von Wort zu Wort, wie sie der Seilfahrer im fünften Capitel des dritten Buches erzählet.) » ...Und als ich die silbern Spitzen verkaufen wollen, wurde ich von dem Cavalier, welcher sie gekannt, ins Gefängnis gesetzet und hart geschlossen.« (Diese Erzählung beziehet sich auf den Ausgang des sechsten Capitels im dritten Buch.) »In diesem Gefängnis lernte ich erkennen,« sagte der Student weiter, »wie einer schrecklichen Gefahr sich die geilen Gemüter zu unterwerfen pflegen, denn ich wurde gleich einem Dieb angehalten, der ich doch nicht war. Wollte ich nun außer der Gefahr sein, so mußte ich notwendigerweise bekennen, wie es mit den Spitzen beschaffen sei. Denn weil ich von der Gräfin keinen Genuß mehr zu hoffen hatte, wollte ich wegen ihr mein Leben nicht so schändlich verlieren, denn es ist gewiß, daß man mich ohne Gnad und Barmherzigkeit an den lichten Galgen aufgehangen hätte. Dahero machte ichs kurz und gut, wenig achtend, es möchte hergehen, wie es wollte. Die Sach wurd ad referendum angenommen; und bald darauf brachte man[334] eine Hure zu mir ins Gefängnis, die hatte in der Welt eine ziemliche große Freundschaft gestiftet, weil sie gar viel mit Schwägerschaft zusammen verwandt gemacht. Dieser schändliche Lasterbalg wurde gegen mir über geschlossen, und dahero sah ich augenscheinlich, in was ehrbare Gesellschaft die leidige Sucht der Hurerei zu leiten pfleget.

Ich beseufzete mein Unglück recht schmerzlich und wünschte, daß ich die Gräfin all mein Lebtage mit keinem Auge angesehen hätte. Bald darauf wurde die angeschlossene Hure durch den Richter examinieret, welcher noch ein junger und scharfer Herr war. Sie bekannte ihm viel Stücklein, welche sie außer der Stadt begangen. Weil er aber daran keinen großen Fisch zu fangen wußte, nötigte er ihr gar viel Sachen heraus, die sich in und zwischen den Bürgern derselben Stadt zugetragen.

Er ließ nach einem langen Register der Missetäter doch nicht nach, sondern satzte noch schärfer an sie als jemals zuvor. Als sie nun sah, daß es unmöglich konnte verschwiegen bleiben, so gab sie diese Antwort: ›Gestrenger Herr Richter, weil Ihr ja alles recht wissen wollet, so muß ichs mit der Wahrheit gestehen, daß ich gar nichts wegen meines begangenen Übels verhalten will. Hört demnach fleißig zu und schreibt es ja ordentlich ins Buch. Der erste, so bei mir geschlafen und mich als eine Hure gebraucht, der ist Euer Vater gewesen, als er da und da noch Schreiber war.‹ – ›Was,‹ sagte der Richter, ›mein Vater?‹ – ›Ja,‹ antwortete die Hure, ›Herr Richter, es ist nicht anders, Euer Vater ist der erste gewesen, der bei mir geschlafen hat.‹ Ich kann nicht sagen, wie sich der Richter vor denen geschämt, die als Notarii an dem Tisch gesessen. Und weil sich die Magd einen Eid darauf zu tun erklärte, gab der Richter vor, sie wäre närrisch und ihrer Sinnen beraubt, ließ sie los und sagte, wo sie ein einziges Wort deswegen bei dem gemeinen Mann ausbringen würde, wollte er sie auf den Scheiterhaufen werfen lassen.

Dazumal wurde ich gewahr, was die Affecten bei einem Richter vermöchten, der seiner selbst nicht allzeit mächtig ist, und in dieser Verwirrung hatte ich die beste Gelegenheit,[335] mich von meinen Fesseln loszumachen und heimlich aus dem Gefängnis zu entweichen. Stieg demnach ganz heimlich zum Fenster hinaus und machte mich also in der Nacht auf und davon, bis ich in dem Schlosse obgemeldten Caspars angelanget, der mich vierzehen Wochen in Versichrung hielt. Auf solches begab ich mich, gleich einem Handwerksgesellen verkleidet, wieder unter die Leute, ob ich schon von der Stadt, darinnen ich gefangen worden, eine ziemliche Ecke abwich. Aber man sagte allenthalben, wie der Graf seine Gemahlin wegen meiner abscheulich zerprügeln und die Baderin zu dem Dorf hätte ausjagen lassen, weil sie solche Kupplerei unterfangen hatte.

Die elende Gräfin ist bald darauf aus Schmerzen gestorben, und der Graf kann keine Braut mehr kriegen, so sehr er auch darum beschäftiget ist. Aber, wie man insgemein davon redet, so will er wieder eine vom Adel nehmen, die nicht viel zum Besten hat, und dieses gehet endlich noch an, denn das Frauenvolk ist nicht gern allein. Und ob sich manches Frauenbild schon klug zu sein gedünket, sind ihrer wenig doch nicht mächtig genug, sich selbst das Beste zu raten, absonderlich in einer solchen Sache, die den jungfräulichen Stand aufhebet. Aber sie wird ärger anfahren als der Richter mit seinem Hurenexamen.«

Mich verwunderte die Erzählung des Studentens nicht ein geringes. Absonderlich aber kam es mir seltsam vor, daß ihn die Gräfin lieben können, weil er ein ziemlich ungehobelter und unförmlicher Mensch war, gedachte dahero an den Ergasto, welcher mir eben an diesem Ort erzählet, daß auch die Veronia viel lieber mit groben als subtilen Leuten zu tun gehabt, dardurch sie sich nur selbsten zuschanden gemacht und jedermann ins Maul gebracht hat. Er erzählte mir beinebenst noch unterschiedliche Stücklein, die er als ein Schüler mit den Mägden und andern Weibspersonen vorgehabt, aber, wie ich schon zuvor geschrieben, ich will aus so schändlichen Taten keine Gelegenheit nehmen, diejenigen zu ärgern, welche dergleichen Bücher nur darum lesen, auf daß sie sich nicht so wohl vor dem Laster hüten als demselben erst beflissen nachfolgen möchten.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 332-336.
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