III. Capitul.
Was der Jäckel vor ein sauberer Jung gewesen.

[641] Nichtsdestoweniger ereiferte er sich doch über seinen Vater ausdermaßen und gab beständig vor, daß er zwar also hieße und auch zu Passau studiert, item all dieses getan hätte, wessen sich der Stradiot (er hieß ihn einen verlumpten und lausigen Marodebruder) verlauten lassen. Allein, so wäre sein Vater bekannt genug und ein ehrlicher Zimmermann zu Forstenau; wäre dannenhero dieser Frevel von einem solchen Calumnianten nicht zu dulden, sondern solle mit ihm nach der peinlichen Halsgerichtsordnung billig verfahren und procediert werden.

Aber es wurde nichts draus, so sehr sich auch der ploder-hosichte Schreiber aufbaumte. Als ich aber den Grund untersuchte, so kam ich dahinter, daß mein Page, welches ein Schelm von einem arglistigen Jungen war, den alten Soldaten bestochen hatte, daß er dem Schreiber diese Histori dictierte,[641] weil er wohl wußte, wie groß sich derselbe zu machen und wie schrecklich er auf seine Geburt zu prahlen wußte. Also ging die Sache über den Jungen aus, welcher aber, da ich an ihm die Execurion vollentziehen wollen, schon über alle Berge ausgelaufen war. Denn er dachte: weit davon, ist gut vor den Schuß. Aber ich entriet ihn sehr ungern, weil er mir mit seinen Erfindungen auf dem Schloß manche Kurzweil angerichtet. Schickte ihm dannenhero meinen Wastel mit einem Pferd nach, welcher ihn endlich wieder zurückbrachte.

Der gute Wastel wäre seiner nimmermehr habhaft worden, so er sich nicht gutwillig mit ihm auf den Weg gemacht hätte. Er traf ihn über einem Bach an und sprach: »Gehe herüber!« Da sagte der Knab: »Gehe du herüber!« Also ritt Wastel durch den Bach hinüber, und der Jung lief an einem andern Ort herüber. Der Wastel wendete sein Pferd und ritt wieder herüber. Der Jüngling besann sich auch nicht lang und sprang wieder hinüber. Trieb also ein Narr den andern bald hinüber, bald herüber. Mußte mich dannenhero über des Wastel seine Relation rechtschaffen zerlachen, der Schreiber aber hielt mit seinem Supplicieren inständig an, den Jungen zu strafen und mit ihm criminaliter zu verfahren. Aber ich wußte wohl, daß solche Lumpenpossen keines weitschichtigen Proceß nötig waren, ließ ihn dannenhero zu mir allein ins Zimmer kommen und schlug mit meinem Stock auf mein Bett. Unter diesen Schlägen sprang der Knab in der Stube herum und schrie gleich einer Spansau. Der Schreiber aber, welcher vor der Tür heimlich zuhorchte, kitzelte sich im Herzen und lachte, daß er etliche Bockssprünge darüber zu tun un möglich unterlassen konnte. Und also war der Narr zweimal betrogen, da er doch wohl mit einem hätte können zufrieden sein.

Ich muß von diesem Jungen noch etliche Stücklein erzählen, welche, ob sie gleich nicht von großen Sachen handeln, dennoch kurzweilig zu hören sind, weil bekannt genug ist, wie arglistig die Jugend und was für keinnütze Schelmen man unter den jungen Leuten findet, die noch nicht wissen oder nicht wissen wollen, was die delicta juventutis für Vögel sind.[642]

Er konnte etliche Wort Latein, und wenn er unter den Bauern saß, so machte er sich damit so groß, daß ihn alle vor ein Miracul eines jungen Menschens hielten. Er schwätzte ihnen von der Türkei, von Frankreich und Spanien, von dieses und jenes Landes Sitten und Gebärden, welches er meistens aus meinen Büchern gestohlen. Hiedurch beschwätzte er die einfältigen Bauernflegel, daß er die Schwarze Kunst verstünde und noch täglich mit dem Edelmann, als mit mir, darinnen studiere. Damit machte und schrieb er ihnen Zettel. »Diese,« sagte er, »wo ihr sie an euren bloßen Leib hängt, daß sie warm werden, so seid ihr nicht allein stahleisenfest, sondern habt noch darzu neun Manns Stärke. Aber ihr müsset euch wohl vorsehen, daß ihr nicht ausschlaget oder den ersten Angriff tut, sonsten verliert der Zettul seine Kraft und Wirkung und kann kein essential operation propter robusti contrapuncti & omnia in seculum verrichten.«

Diese Praktik meines Jungens wurde mir einsmals durch den Pfarrer des Dorfes kundgetan, welchem ein Bauerknecht auf seinem Totbett offenbaret, daß er allgemach seit Pfingsten einen festmachenden Passauer Zettul bei sich getragen, welchen ihm der kleine Jäckel, so hieß der Jung, geschrieben und um zwölf Groschen verkauft hätte. Diesen Zettul brachte der Pfarrer zu mir in das Schloß, und wo wir über die Schalkheit des Jäckels, wie wohl zu erachten, nicht Ursach gehabt hätten, uns zu ereifern, so hätten wir ohn allen Zweifel über den Inhalt des Zettuls lachen müssen, welcher in diesen zweien Reimen bestund:


›Den Brief ich dir zur Lehre schreib,

Ein Esel trägt ihn auf dem Leib.‹


Diese Reimen waren mit lateinischen Buchstaben geschrieben, damit es die Bauren desto weniger zu lesen wußten. Wir foderten ihn vor, und er verantwortete sich kurz und gut, daß er durch dieses Mittel die Bauernknecht von ihrer gewöhnlichen Schlägerei und Hinausforderung abzuhalten gesuchet. Denn wenn ein jeder auf des andern Angriff und Ausschlag wartete und keiner der erste sein wollte, so würde allem Ansehen nach gar nichts draus, und müßten also[643] beide Parteien, aus Furcht, die Schlacht zu verlieren, ungeschlagen wieder nach Hause gehen. Über diese Entschuldigung mußten wir wider unsern Willen zum Fenster auslachen, aber der Pfarrer gab ihm nebenst einem guten Filz etliche Kopfrupfer und sagte ihm zugleich, daß er den Teufel nicht an die Wand malen, noch gute Sachen mit übeln Mitteln suchen sollte. »Solche Sachen,« sprach er, »ob sie gleich nicht schlimm von dem gemeinet sind, der sie ausgibt, werden sie doch von dem, der sie annimmt, als Teufels-Mittel gebraucht. Ist also die Sache bloßerdings eine große Sünde, und wo du dich mehr wirst gelüsten lassen, ein solches Armistitium anzurichten, so wird man dir die Hosen runterziehen.« – »Meinetwegen,« sagte der Jung, »so warte ich meinem Herrn im Hemde auf.«

Wenn ich in der Karwoche in eine Kirche ging, allwo anstatt der Glocken die Rätschen geklopfet wurden, nagelte er unter solchem Pumpern den Mägden die Röcke auf die Bänke, und wenn er wußte, daß ich diesem oder jenem in der Stadt nicht gut war, so ging er ungeheißen hin und wurf ihm nachtszeit die Fenster ein. Hatte er aber kein eigen Haus und wohnete etwan nur zur Miete innen, so schrieb er allerlei Pasquill und heftete solche an die Haustür. Sein Vater war ein Maler, und dahero verstund sich der Jäckel ziemlich auf das Reißen (absonderlich wenns über die Kleider ging). Einsmals dienete ein Advocat wider mich, der hieß Stiefel. Dieser Stiefel hatte das Lob, daß er mit einer Wirtin in guter Kundschaft stund. Da malte der Jäckel das Wirtshaus ab, und vor demselben stund die nackichte Wirtin mit einem langen Stiefel am Fuß, solcher reichte ihr, so weit er reichen konnte. Ober dieser Figur stunden diese Wort geschrieben: ›Bis hieher geht mir der Stiefel.‹ Über dieses Gemälde wurde von vielen gelachet; diejenige aber, welche nicht allzeit aufgeraumt sind, machten ihre absonderliche Auslegung daraus. Wie denn bei dergleichen Zuständen geschiehet, nachdem einer oder der andere demjenigen oder derjenigen, welche dadurch getroffen wird, affectioniert ist. Sonst war die Invention ganz gut an sich selbst, und war nur schad, daß es der Schelm nicht auf eine bessere Weis angebracht[644] hat. Daraus man siehet, daß der Mensch niemalen beflissener und inventiöser ist, als wenn es zur Beschimpfung seines Nächsten gehet.

In ebenderselben Stadt locierte man mich einesmals bei einer Trauer seinem Bedünken nach unter viel Personen, denen man mich billig als ein Edelmann sollte vorgezogen haben. Gleich selbige Nacht malte er eine Procession an die Gottsackertür, nit zwar von Menschen, sondern von lauter Eseln mit Trauermänteln, hinter diesen ging der Müller mit der Abschrift: ›In gestriger Procession ging es auch so zu.‹ Ein andersmal erwählete der Rat einen untüchtigen Menschen zum Organisten, da malte er einen Esel auf das Chor, mit einer großen Baßgeige, mit der Beischrift: ›Ihr habts wohl getroffen!‹ Und solche Händel stiftete er tausend an, dadurch er sich nicht allein viel Streiche auf der Schule zugezogen, sondern es endlich dahin gebracht, daß man ihn mit einem Schelm davonjagen wollen. Da hat er gesagt, wenns dazu kommen sollte, so möchte man ihm nur beide Stadtbüttel mitgeben, so ginge er mit zweien davon.

Nicht weit von derselben Stadt liegt ein Schloß, an dessen Pforten stunden folgende lateinische Buchstaben geschrieben, als nämlich: E.N.I.D.Z.N.S.D. Einsmal kam er mit seinem lateinischen Schulmeister, welchen er spottweise artium Inspectorem nennete, dahin. Da fragte er, was diese lateinische Buchstaben bedeuteten. »Ich weiß es nicht,« sagte der Schulmeister, »doch wie ich meine, so ist es so viel als: Emanuel Natus Isdorferus Dominus Zu Nusdorf, Speierek, Dondersbeim, zu teutsch: Emanuel, geborner Ißdorfer, Herr zu Nußdorf, Speiereck und Dondersheim.« – »Nein,« sagte der Jäckel, »Herr, Ihr habt gefehlet!« – »Wie heißt es denn?« fragte der Schulmeister. »Es heißet,« sagte der Jung, »Ein Narr Ist Drinnen, Zwei Narren Sind Draußen. – das sind ich und Ihr.«

Mit dergleichen Salben beschmierte er alle Leute, die sich zu weit mit ihm einließen, und er verschonete sogar, wie schon gehöret, seine eigene Præceptores nicht. Wenn ich beschreiben sollte, wie oft mich der junge Lecker ausgezahlet, würde ich mich dem Leser zum Gelächter selbst darstellen. Damit[645] mich aber niemand schelte, daß ich ihm solche Sachen zugelassen und ihn nicht vielmehr mit einem guten Ochsenzehn herumgebalsamiert habe, so ist zu wissen, daß solches öfters geschehen und unterweilen des Tages drei-bis viermal; als morgens sang ich ihm die Metten, abends die Vesper, es wollte aber alles nicht helfen, und dorfte fast kein Mensch bei mir einkehren, welchem er nicht nach seiner Art ein Klämperlein anzuhängen wußte.

Absonderlich aber gebrauchte er sich zur Verübung seiner Schelmenstück eines solchen Orts, da der fremde Gast notwendig hinkommen mußte. Als erstlich die Stubentür, darinnen sie logiert waren, und vors andere das heimliche Gemach. In demselben schrieb oder zeichnete er mit der Kreide an, was ihm an ihnen mißfiel. Als zum Exempel: einsmals kam ein meiniger Freund zu mir, der hieß ihn bei der Tafel einen Maulaffen, weil er ihm ein wenig Wein auf den Wammesärmel gegossen hatte. Auf solches lachte er ihn wegen seiner närrischen Vision aus und sprach: »Jung, du hascht ein Geschicht wie ein Äffle!« Diese Rede verdroß meinen Jäckel, malte alsobald eine Figur inwendig ans heimliche Gemach mit bloßem Fetzer, die sah ihm so ähnlich, als etwas sehen konnte. Ober derselben stunden die Wort: ›Wenn mein Gesicht siehet wie eines Affens, wie siehet denn das?‹ Über diese Invention wurde mein Vetter so zornig, daß sich der Jäckel heimlich aus dem Schloß retirieren mußte. Aber des folgenden Tages, als der Fremde wieder Abschied genommen, meldete er sich wieder an, weil er indessen nur in dem Meierhof sich in einem alten Strohstadel verstecket hatte. Nichtsdestoweniger klopfte ich ihm das Wammes wacker aus; aber es half doch so viel als nichts, denn wenn ich einen Schelm herausschlug, so schlug ich gewiß dargegen zehen hinein.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 641-646.
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