XII. Capitul.
Wolffgang hört auf dem Schloß zu Unterbinningen ein Gespenst.

[695] Dieselbe Nacht hatte ich fast nichts zu gedenken, als wie ich dem Schreiber, seinen Proceß betreffend, mitfahren wollte, ja, diese Phantasie verließ mich sogar in dem Schlafe nicht, und hatte dannenhero in dem Traum unterschiedliche Vorstellungen von Rad und Galgen, erwachte also zu unterschiedlichen Malen und hörte endlich in der nächstgelegenen Kammer einen großen Tumult und ungewöhnliches Gepolter von Werfen und Stoßen, welches mir in der düstern Finsternis recht förchterlich anzuhören war. Ich wußte wohl, daß es in dem Schloß nicht allzu richtig war und daß es ehedessen zu gewissen Zeiten allhier sehr irr gegangen; darum schlug ich das Kreuz vor mich und verstackt' mich unter das Deckbett, damit mirs nicht so grausam vorkam, wenn es etwan an meine Kammertür anklopfete. Nichtsdestoweniger erhebte sich ein abscheuliches Geheule, dergleichen ich die Zeit meines Lebens noch wenig, ja gar keines gehört hatte. Solches Heulen war nichts anderst als die Klage, welche gemeiniglich sich zu melden pfleget, wenn junge Kinder verscheiden sollen. Ich machte mir in dieser Furcht tausend Gedanken. Der Schweiß lag mir auf dem ganzen Leib, und wurde durch bloßes Anhören dermaßen müd und kraftlos, gleich als hätte ich den ganzen Tag am Pflug gearbeitet. Endlich kam es gar in die Kammer und lief in dem Dunkeln über alle Fenster wie die Katzen hinan, daraus der geneigte Leser schließen kann, wie mir dazumal hinter dem Deckbette müsse zumut gewesen sein. Ich hatte das Herz nicht, mit einem Auge hervorzugucken noch mich aus meinem Vorteil zu begeben, und mußte also länger als eine gute Stund zu unglaubiger Angst hinbringen, bis ich durch den angenehmen Hahnengeschrei getröstet und wegen[695] des herbeinahenden Tages wieder in etwas erquicket war.

In dieser Qual stellte ich mir vor Augen die ewige Höllenpein und diejenige Finsternis, auf welche keine Sonn mehr zu hoffen wäre. Da schauerte mir die Haut, wenn ich betrachtete, daß man daselbst in einem ewigen Gefängnis geschlossen allezeit mit den allerschröcklichsten Höllengespensten würde vergesellschaftet und umgeben sein. ›Man liegt dort‹, sagte ich bei mir selber, ›in keinem Bette noch in einer wohlaufgeraumten Kammer, sondern im schwefelichten Feuer, welches unbegreiflich alle Verächter Gottes peinigen wird. Diese Qual hat kein Ende, und ist alldort kein Mittel mehr übrig, sich zu erfrischen. O Wolffgang,‹ sagte ich ferner zu mir, ›gedenke hinter dich und betrachte dein übles Leben, bessere deinen Wandel und gedenke, daß du nicht ewig leben werdest. Wer weiß, was dieses Gespenst bedeutet, und vielleicht ist es eine Anzeigung deiner bis anhero saumseligen Buße und daß du dich inzeiten bessern sollest. Ja, es ist dem also, und du findest bei dir selbst wohl, wie forchtsam du zum Sterben bist, denn wie kann der fröhlich und wohlgemutet sterben, der kein gutes Gewissen hat? Um wieviel wäre dirs besser, daß du wärest in deiner Einsiedelei sitzen geblieben, daselbst dem bloßen Gebet eiferig abzuwarten, als daß du die zeitliche Lust suchend dich den Wirbelwinden der ehrsüchtigen Welt übergeben, welche dich endlich noch zu Boden stürzen werden. Du bist in dem Wald gewesen voll Unschuld und Andacht, voll Lieb und Lust zum Guten und Gebet, bist aber, nachdem du wieder unter deine Bekannte geraten, bald irrig und verführt worden. Anstatt deines Paternoster hast du in dem Geld und unter deinen Schätzen herumgeklaubet, gleich als wäre darinnen die größte Glückseligkeit verborgen, da du doch nichts als eitlen Betrug herausklauben können. Es ist schwer, daß ein Reicher ins Himmelreich komme; was schwer ist, das geschiehet selten. Was nützet mir, meinem Weib eine große Summa Geldes, wenn ich samt sie davor im ewigen Pfuhl brennen und braten soll? Was ist meiner armen Seel dadurch geholfen, wenn man spricht, ich sei ein[696] Großer vom Adel, eines fähigen Kopfes und herrlichen Lebens, wenn ich hingegen eine lasterhafte Seele mit mir aus der Welt führe, welche muß verworfen werden?

Ach, um wieviel wäre mir besser, daß ich diese Welt niemalen mit Augen angesehen hätte, als daß ich solche zu meinem Verdammnis gebrauchen soll. Ich bin zwar kein Totschläger oder sonst ein großer Böswicht, aber nichtsdestoweniger bin ich auch kein Heiliger, sondern fühle genugsam, wie schwer mein Gewissen ist, wenn ich an alle Stunden und Augenblicke gedenke, die ich so vergeblich zugebracht habe. Alle meine Reden, so mir jemals von der Zunge gegangen, klagen mich an, daß sie so unnütze gewesen, aber nichtsdestoweniger will ich nicht verzweifeln. Doch gleichwohl muß ich mich verwundern, wie es möglich ist, daß ich in Betrachtung so großen Elendes jemals recht habe können fröhlich werden. O einsame Nacht, dich will ich nimmermehr aus meinen Gedanken lassen, weil mir in deiner Finsternis das wahre Licht meiner bis anhero verschlossenen Erkenntnis zur wahren Buße aufgegangen. Ich will dich stets beherzigen und meinen Wandel also anstellen, daß ich dem Tod jederzeit mit fröhlicher Stirn möge entgegengehen.‹

In diesen Gedanken, welche mir bei obbeschriebener Furcht eingefallen, entschloß ich zugleich, den Schreiber auf freien Fuß zu stellen und ihn mit einer guten Vermahnung seinem Gefängnis zu entlassen. Kleidete mich demnach, sobald es ein wenig hell wurde, an, und weil sich Christoph über meinem frühen Aufsein verwunderte, erzählte ich ihm alle Umstände, die mich heute nacht auf eine ganz andere Resolution gebracht hatten. Es waren ihrer mehr in dem Schlosse, welche, gleichwie ich, das Wehklagen des Gespenstes gehört hatten, und Christoph war leid, daß er dem Übel nicht abkommen konnte, weil schon öfters über dergleichen Unheimlichkeit von seinen Gästen geklaget worden.

Nach solchem schickte ich in das Dorf, den Schreiber vor mich zu bringen, unter welchem ich auf eine Rede studierte, ihm seinen Leviten, welchen er wohl verdienet, auszulegen. Sie brachten ihn auch endlich hinter mir in mein Zimmer. Da ich mich aber niedersatzte, ihm meine Meinung zu eröffnen,[697] da erschrak ich, daß ich zusammenfuhr; denn ich sah nicht den Schreiber, sondern den ehrlichen Bruder Philippen vor mir, welcher in tiefer Nacht vor das Schloß gekommen, und weil er uns nicht verstören noch an der Ruhe verhinderlich sein wollen, hat er sich indessen in der Dorfschenke einlogiert, allwo er unter die Geschieht wegen des Schreibers geraten. Hat also den Schreiber, welchen er ehedessen wohl gekannt, aus den Banden losgemacht, ihm sein sauber Kleid geschenkt, davor hat er sich mit dessen Lumpen bedecket, und ist nicht zu beschreiben, wie eine große Verwunderung dieses Beginnen unter uns verursachet hat.

Er erzählte hierauf seinen Zustand, und daß er des Hoflebens schon satt und überdrüssig sei. Nichtsdestoweniger wollte er noch ein paar Jährlein versuchen, wie die Hofsuppen schmeckten, alsdann wäre er entschlossen, in ein Kloster zu gehen und ein Ordensbruder zu werden. Sein Weib und Kind wolle er uns im Testament zur lebenslangen Versorgung vermachen, und was dergleichen Tänze mehr waren. »Vor diesmal«, sagte er, »kann ich nicht lange bei euch bleiben. Meine gnädigste Fürstin hat einen jungen Prinzen, und ich reite aus, das Gevatterschreiben zu überbringen. Sobald ich solches verrichtet, kehre ich wieder zu euch, und wenn ihr noch so lange beisammen verharret, wollen wir die alte Karte aufs neue miteinander mischen und die brüderliche Liebe renovieren.« Damit lieh ihm Christoph ein stattliches Staatskleid, mit welchem er, seine Post zu verrichten, hinwegschied. Er war auch zu solchem Werk sehr fähig und geschickt, weil er nicht allein ein guter Ceremonienmeister, sondern noch darzu ein überaus guter Redner war, der von einer jeden Materie ohne sonderliche Vorbereitung etliche Stunden reden konnte, darzu er weder Zungenschabens noch sonsten einer gedächtnisstärkenden Hauptpillul gebrauchte. Also nahm er von uns unter dem Tor Abschied, und wir warteten seiner Zurückkunft mit großem Verlangen auf dem Schlosse.

Unterdessen verkürzte uns der Jäckel die Zeit mit allerlei kurzweiligen Historien, welche er teils von sich erfunden und zum Teil aus den Büchern ausgestohlen hatte. Er sagte[698] unter anderen, daß er vor drei Wochen einen Kaufmann abconterfeyen müssen, welcher ihm vor seine Arbeit dreißig Taler versprochen. Nachdem das Conterfey fertig gewesen, hätte es den Kaufmann wieder gereuet. Dannenhero sprach er: »Das Bild sieht mir nimmermehr ähnlich!« – »Ich aber,« sprach der Jäckel, »nachdem ich gesehen, daß ein anders Que dahinter steckte, satzte dem Bild eine Narrenkappen auf, stellte solches hernachmals auf offenem Markt [aus], da sprachen alle Leute: ›Dieses ist der und der!‹ Ja, er selbsten kam und mußte bekennen, daß er mehr als zu kenntlich getroffen war.«

Dergleichen Stücklein erzählte der Jäckel über tausend, bis endlich Philipp mit einem stattlichen Recompens wieder zurückkam und sich mit uns durch vier ganzer Tag rechtschaffen lustig machte. Er lud uns nach diesem alle nach Hofe, uns daselbst rechtschaffen und aulicos zu tractieren. Damit nahm er seinen abermaligen Abschied, und wenn mans sonst nicht gewußt hätte, daß er bei Hof in Diensten wär, so hätte mans doch aus diesem leichtlich abnehmen können, weil er die Mode, kein Trankgeld auszugeben, schon perfect gelernet hatte, welches sonsten die anderen vom Landadel jederzeit zu tun gewohnt waren und dannenhero von dem gemeinen Schloßgesind viel mehr als die Hofleute bedienet wurden.

Hiemit nahmen auch wir insgesamt von Christoph, welchem bald darnach sein Kind samt der Frauen gestorben, unsern Abschied, jeder seinen Marsch seinem Heimat zu nehmend. Ich aber ritt mit meinem Wastel auf etliche Dörfer herum, daselbsten Wolle zu bestellen. Nach diesem eileten wir heim zu unserm Historico und dem Studenten, welche beide ein ziemlich großes Buch zusammen aufgeschrieben hatten. Nebenst Durchlesung dieser Blätter ergetzte ich mich sonderlich in der Musik, weil der Student artige Stücke gesetzet, die trefflich nach meinem Humor eingerichtet waren. Nichtsdestoweniger wuchs in mir der gefaßte Eifer, ein heiligers Leben zu führen, welches ich mir in dem Schloß zu Unterbinningen so steif vorgesetzet hatte. Sonsten war alles unter meinen Leuten sehr kleinlaut, und endlich erfuhr ich von[699] meinem Weib, daß zeit meines Ausseins allenthalben im ganzen Hause ein großer Tumult von einem Gespenst gehört worden, absonderlich aber hätte sich das Bildnis meines seligen Vaters bei hellem Tage etlichmal von der Stelle heruntergeworfen. Diese Erzählung machte mir wunderliche Gedanken, und wie sie sagte, so war es auch in dem Werk, denn es wurde je länger je unsicherer und endlich so gemein, daß ich entschloß, auszuziehen und mich auf das andere Gut, so schlecht es auch dazumal gebauet war, niederzulassen.

Solches Vorhaben satzte ich kurz darauf ins Werk, machte mich mit Sack und Pack hinweg und ließ nur einen einzigen Menschen zurück, welchen ich als Hausmeister und Dorfrichter bestallte. Aber er konnte so wenig als ich darinnen ausdauren, weil es mit Schüsseln und Tellern je länger je heftiger um sich warf und weder Menschen noch Vieh ruhen ließ. Also blieb das Haus eine ziemliche Zeit wüst und unbewohnt, konnte mir auch kein Mensch einziges Mittel vorschreiben, dadurch mir wäre zu helfen gewesen. Auf dem neuen Schlößlein ließ ich alles hübsch bauen, allwo ich, gleichwie zuvor geschehen, meine meiste Zeit entweder mit Lesung allerlei Schriften oder aber mit der Musik zubrachte. Ich bestellte auch endlich von einem Hofe einen eigenen Musicum, der mich sollte auf der Violdigam streichen und ein wenig mehr componieren lernen, als ich bis anhero von dem Herrn Ab initio gelernet hatte. Also vertrieb ich die Zeit in meiner neuen Behausung gar vergnüglich und fraß selten ein gutes Bißlein allein, davon ich nicht dem Soldaten und Studenten mitgeteilet oder das größte Stück gegeben hätte, welches ihnen so wohl bekommen, daß die Bauren den Studenten vor einen Magister und den Musquetier vor einen Quartiermeister angesehen haben.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 695-700.
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