XIV. Capitul.
Wolffgang, nachdem er seine Güter erbmäßig übergeben und der Welt ganz abgesagt hatte, begibt sich wieder in den Wald und macht also dieser ganzen Sommer-Geschicht ein ENDE.

[842] Aus diesem verstund ich, daß es ebender gute Freund war, der ehedessen mit Christophens Page auf dem Edelhof gedienet, davon in dem siebenten und achten Capitel dieses sechsten Buches ist gehandelt worden. Ich machte ihn demnach zum Registrator, zum Korn- und Brauschreiber; in summa, was ich wußte, dazu er tauglich war, dazu mußt er sich brauchen lassen. Insonderheit mußte er die Kinder des alten Krachwedels im Lesen und Schreiben unterrichten, weil er zu solcher Function gleichsam von Jugend auf gewöhnet war. Entgegen gab ich ihm auch einen guten Sold, also daß er mit seinem Weib und Kindern wohl auskommen konnte, ohne was er mir sonst dort und dar wird auf den Schwanz geschlagen haben. Als er sich aber auf dem Schlosse wieder ein wenig ausgefressen, fing er an, seine alte Traurigkeit fahrenzulassen, und stiftete ärgere Possen an als der andere Student. Demnach hieß ich diesen den Virgilium und den andern den Horatium, weil sie alle beide gute Poeten waren. Ich aber begab mich wieder aufs neue aus dem Wald, weil es allgemach anfing Winter zu werden, und nahm meine Wohnung in einem abgelegenen hübschen Stüblein auf dem alten Schlosse, mich daselbsten zeit währender Kälte hübsch warm zu halten. Zuweilen kam der Krachwedel, zuweilen der Virgilius zu uns herüber, allwo wir die Zeit mit Brett- oder Kartenspiel bei einem hübsch geräucherten Schinken passierten. Unterweilen mußten uns die Bauern eine Comödie[842] agieren, dabei wir uns oft krank gelachet, und weil der Horatius die schlafende Ratzen auf eine sonderliche Art in der Küche fangen konnte, vertrieben wir in solchem Spaß bald so, bald wieder anders fast den halben Winter. Nichtsdestoweniger gedachte ich in solcher Zeitvertreibung allezeit an die Vermahnung Thomæ a Kempis, welcher im zwölften Capitel des ersten Buches der Nachfolgung Christi also saget:

›Du bist, o Mensch, allzeit betrübt und elend, wo du auch immer dich aufhältest und an allen den Orten, wohin du dich wendest, wenn du dich nicht zu GOTT bekehrest. Warum betrübst du dich, weil dirs nicht gehet, wie du willst und es dein Verlangen erfordert? Wer ist derjenige, der alles nach seinem Willen hat? Weder ich noch du, noch ein anderer Mensch auf dem Erdboden. Es ist kein Mensch in der Welt ohne Anfechtung und Trübsal, und ob er gleich ein König oder großer Monarch ist. Es sprechen die niedrigen Gemüter: sehet, was genießet dieser und jener Mensch vor guter Tage? Oh, wie ist er so reich, so groß, so mächtig und so glückselig! Aber gib viel mehr acht auf die himmlische Güter, so wirst du bald sehen, daß diese zeitliche Güter gar nichts und mit einer steten Ungewißheit verbunden sind, weil sie niemalen ohne Sorg und Angst besessen werden. Es ist keine Glückseligkeit, überflüssige Güter haben, sondern ist dem Menschen gar genug, so er mittelmäßig leben kann. Es ist wahrhaftig eine große Mühseligkeit, auf Erden leben; je mehr der Mensch verlanget nach dem Himmlischen, je bitterer wird ihm dieses Irdische. Denn er wird gewahr, daß all dieses Zeitliche, dargegen gerechnet, gar nichts sei. Denn Essen, Trinken, Wachen, Schlafen, Ruhen, Arbeiten und anderer Notwendigkeiten der Natur abwarten, ist wahrlich nichts als ein großes Elend und eine rechte Qual einem andächtigen Menschen, der sich nach der Erlösung von seinen Sünden sehnet. Denn der innerliche Mensch wird sehr gedrücket von des Leibes Notwendigkeiten in dieser Welt. Daher betet der Prophet, daß er von diesen möchte erlediget werden, wenn er spricht: Erlöse mich von meinem Anliegen!‹[843]

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 842-844.
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