Erster Auftritt

[80] FAUST allein in seinem Zimmer; tiefsinnig und gebeugt, in seinem Armstuhl sitzend. Ich lebe hier wie ein Uhu, allein und verscheucht in einem Winkel; nein, nicht wie ein Uhu; er ist nur am Tage scheu, ich am Tage und in der Nacht. Ich lebe hier wie in der Hölle. Steht auf. Ja, dieser fürchterliche Prozeß ist eine Hölle für mich. O Rochus, Rochus, Teufel! willst du den letzten Blutstropfen aus meinen Adern saugen? Bin ich nur hoch gehoben, um in einen desto tiefern Abgrund zu stürzen? Ewiger, das sind tief ausgesonnene, sinnreich erhöhte Qualen, die ich dulden muß! Du hast mich von einem Gebürgsgipsel eine reizende Aussicht erblicken lassen, um mich am Fuße desselben auf spitzen Felsen zu zerschmettern. Was habe ich gethan, daß ich so gequält werde?[80] Und hätte ich der Frevel viele begangen, eine solche Rache ziemt dem Allgütigen nicht; sie ist wie aus der Hölle genommen.

Die Furcht, dieses gräßlichste aller Seelenleiden, foltert mich unaufhörlich und trinkt meine Lebenskraft. Was bin ich, wenn die Richter gegen mich entscheiden? Ein Bettler, ein verhöhnter Bettler. Und sie werden gegen mich entscheiden; das furchtbare Gerücht schleicht schon, wie eine Pest, zu meinem Ohr. O Paulina, Du bist der einzige Stern, der mir in dieser schwarzen Finsterniß leuchtet! Du liebst mich! – dieser Gedanke allein kann meiner Seele die Klarheit wieder geben.

Ich will mich erholen, ich will meine Kinder sehn! Meine Kinder? – O Xaver, mein Sohn, mein Sohn, was bist Du geworden? Ich will ihn dennoch sehen! Er war lange genug aus meinem Antlitz verbannt. Rudolph, Rudolph! Rudolph kömmt. Geh, rufe Xaver!

RUDOLPH. Sogleich. Ab.

FAUST. Mein Herz öffnet sich zum Vergeben; ich will dem Triebe folgen. Es ist doch süßer, zu lieben, als zu hassen.[81]


Quelle:
Benkowitz, Karl Friedrich: Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Berlin 1801, S. 80-82.
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