Zweiter Auftritt

[82] Xaver, blaß, entstellt, schwankend, tritt ein. Faust.


FAUST ihn schmerzlich betrachtend. Unglücklicher, bist Du es, bist Du mein Xaver? Ich vermag Dich kaum zu erkennen. Rede mit mir, damit ich fühle, Du seyst mein Sohn.

XAVER mit entkräfteter, feinkreischender Stimme. Ich bin sehr krank, mein Vater, und kann Ihnen keine Freude machen.

FAUST. Auch Deine Stimme erkenne ich nicht mehr. Wandelndes Gerippe, wer bist Du? O Gott, deine Hand liegt schwer auf mir! Bist Du mein Sohn? Unglücklicher, ich wollte Dich an mein Herz drücken, ich wollte Dir vergeben, und meine kranke Seele erquicken; aber Du bist ein Gespenst, Du bist nur der Leichnam von meinem Sohne, und ich bebe vor Deiner Gestalt zurück. Gehe, geh, mein Herz ist schon genug zerrissen.

XAVER sinkt auf die Knie. Vergebung mein Vater, Vergebung! Ich bin ein armer Verführter, der die Schuld seines Elends nicht allein trägt. Ach, Sie wissen nicht, wie man diese Seele, diesen Körper so künstlich gebrandmarkt hat.[82]

FAUST. Dieß jammervolle Wesen verdient Mitleid, auch wenn es Entschuldigungen lügen sollte. Rede, Du Armer, wie hat man Dich verführt?

XAVER. Ich bin nur das Werkzeug der Rache in den Händen anderer gewesen. Ein Unmensch, mein Vater, hat mich sinnreich und stufenweise vom Spiele zum Trunke, vom Trunke zur Wollust, und von der Wollust zu diesem Grade des Elends leiten lassen. Jetzt weiß ich alles. Ich bin das unschuldige Opfer einer gräßlichen Rachsucht.

FAUST. Steh auf, Du Bedauernswürdiger, Hebt ihn auf. und erzähle mir alles. Wer war dieser Unmensch?

XAVER. Ein Todfeind von Ihnen, mein Vater, der durch den Sohn das Herz des Vaters zerreißen wollte. Es war Rochus. Rochus hat mich in diesen Abgrund gestürzt, um sich an Ihnen zu rächen. Sie sind selber der schuldlose Grund, daß ich so elend bin.

FAUST. Was hör' ich? Allmächtiger, Ewiger! Aber lügst Du auch nicht, Elender, um die Last Deiner Schuld auf andere zu wälzen?

XAVER. In dieser Tiefe des Elends lügt man nicht mehr. Wagner weiß, daß mein Mund nur gräßliche Wahrheit spricht; er hat der greulichen[83] That bis zu ihrem giftigen Quell nachgespührt, und sie entdeckt. Ich lüge nicht, aber ich schreie Weh über den fürchterlichen Rochus aus, der mich so elend gemacht hat.

FAUST. Schreie ein tausendfaches, ein unendliches Weh über ihn aus! Ich will mit Dir schreien, bis es an aller Herzen dringt, bis das Haar des Greises sich vor diesem Teufel sträubt, und die Knaben mit lautem Angstgewimmer vor seinem Anblicke fliehen. Sinkt in einen Stuhl. Ach, Luft, Luft! Pause der Betäubung. Xaver steht mit gefalteten Händen da. Es ist mir so schwarz vor den Augen, so finster, so blutig! Wo bin ich denn, und was wollte ich? – Ja, ich wollte mich über meine Kinder freuen. Ha, ha, ha! Steht auf. Bist Du noch da, Sohn des Jammers? Was willst Du hier? –

XAVER. Vergebung, mein Vater! Ich bin ja blos das Geschoß, das Sie verwundete; ich bin selbst dabei zermalmt worden.

FAUST. Das Geschoß? Ja, Du warst ein scharfes Geschoß!

XAVER. Ich kann nicht eher von hinnen gehen, bis Sie mir vergeben haben.

FAUST. Vergeben? Das kann ich ja wohl! Vergeben ist ein seltsames Wort! So klein, so unbedeutend! Ja, mein Sohn, vergeben will ich[84] Dir; ich muß ja dem dort oben vergeben, was er an mir that, aber küssen kann ich Dich nicht. Sieh, ich hatte eine offne schmerzende Wunde; Du bist gekommen, und hast Gift hinein geträufelt, und dies brennt nun wie höllisches Feuer in meinem Innern. Aber vergeben will ich Dir. Geh, geh, und warte nicht! Von der Vergebung bis zum Kuß ist ein weiter Weg. Du siehst so bleifarben aus, so verzerrt, Du bist ein Sohn des Rochus. Geh, ich bitte Dich! Rudolph soll die Aerzte rufen; sie können Roth aufkleben,

XAVER. Ach Gott, das ist schrecklich! Wär ich doch nicht gekommen! Wankt fort.

FAUST allein. Wo ist Theodora? – Nein, ich will sie nicht sehen! Ich will beten. In einem finstern Winkel will ich mich hinwerfen und beten. Wagner hat's gesagt; Wagner ist ein weissagender, ahnungsvoller Nachtrabe. Ihm muß man folgen. Aber ich will beten, daß dies alles nicht so bleibe, daß vorüber gehe dieser Kelch, ohne Zeit und Ewigkeit zu vergiften. Ab.[85]


Quelle:
Benkowitz, Karl Friedrich: Die Jubelfeier der Hölle, oder Faust der jüngere. Berlin 1801, S. 82-86.
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