Das Lied des verlassenen Lehmann

[85] (Herrn Oskar Straus zugeeignet.)


Ich hab ein schönes Mädchen

Gehabt;

Das hat mich mit viel Liebe

Gelabt.

Ach Gott, wie war sie niedlich,

Oh Gott, wie war sie nett!

Ich kaufte ihr aus Rosenholz

Ein Himmelbett.


Ich kaufte ihr auch Kleider

Und Schuh;

Die Unterröckchen machten

Frou-frou.[85]

Sie war, beim Himmel, sauber

Und reizend anzusehn,

Es konnte mit ihr jeder Prinz

Zu Tanze gehn.


Da machte mich die Liebe

Verdreht;

Ich ging mit ihr zum Pfarrer,

O bête!

Sie hat mirs nie verziehen,

Daß ich sie so verkannt:

Ist mit dem ersten besten Kerl

Davon gerannt.


Das ist doch niederträchtig,

Nicht wahr?

Ich raufe mir den Bart und

Das Haar.

Die Röckchen, Höschen, Schühchen

Und auch das Himmelbett

Hat nun der miserable Schuft,

Oh Schwerebrett!


Und alles das von wegen

Dem Ring,

Den sie von mir beim Pfarrer

Empfing.[86]

Oh, welch ein großer Esel

War ich und Pavian!

Die Legitimität hat mir

Das angethan.


Und darf ich sie denn schelten?

Oh nein.

Es mußte ganz natürlich

So sein.

Sie hatte für die Ehe

Nun einmal kein Talent;

Das Variété der Liebe war

Ihr Element.


Mag sie zum Teufel tanzen,

Ade!

Mir thun davon die Beine

Nicht weh.

Ich sitze im Parkette

Vergnügt voll Spannung da:

Sie hat den fünften Partner schon –

Halleluja!


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 85-87.
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