Des Teufels Nähfaden

[231] Der Teufel näht in den Sack der Nacht,

In den grausteifleinenen weiten Sack

Die Erde ein.
[231]

Seht da, wie er hockt überm Kirchturmkreuz,

Daran er sein Nähwachs, den Mond, gespießt;

Hui, wie er den Faden darüber zieht

Mit seiner krummen Klaue, und wie er prüft

Ob er fest und geschmeidig.


Wo hat der Teufel den Faden her,

Den Sackleinfaden, mit dem er näht?

Er hat ihn gedreht aus den Seelen der Hämischen,

Aus den Seelen der lauernden Nörgler hat er

Den Faden gezwirnt;

Drum ist er so grau

Und zäh und knotig.


Blickt aber die Sonne darauf, die gütige,

Reißt er in Fasern grau aus und feucht,

Und auf den Morgenwinden fliegen,

Angeleuchtet vom jungen Tage,

Ausgedröselt die Sackleinfetzen.

Und der Teufel rauft sich die starren

Haare und flucht: Nichtsnutzige Seelen!

Nicht mal Säcke kann man mit ihnen

Dauerhaft nähen. Hol sie der Kuckuck!


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 231-232.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)