Via mala

[306] Sie tragen eine Leiche

Aus meinem Hause;

Helle Haare hangen

Ihr über die Stirne;

Ueber den weißen Brüsten

Klafft eine Wunde.
[306]

Aber ein leises Lächeln liegt,

Lockt, als träumte es Liebe, süß,

Schmachtend auf den wunderschönen Lippen.


Warum erdolchte ich die Königliche,

Die mir im Tod noch lächelt ...?

Warum erfaßt ich nicht das mädchenstolze Glück

An dieser wunderweißen, wunderschlanken Hand?

Warum so blöd ein Frevler, feig und kalt?


Der Zug biegt in den Wald, das große Schwarz,

Das voll von grauen, stummen Vögeln ist,

Die mit den krummen Schnäbeln eintönig

An braunen Stämmen hämmern, wo das Moos

Grau ist wie Tannenflechte, und das Wild

Blind.


Warum schlag ich die Hände vors Gesicht

Und stehe hier und stürze mich nicht tot

Vom höchsten Felsen der Verzweifelung?


Mir quillt ein trübes Lied im Sinn:

Hast du dein Glück erschlagen,

Sollst du dein Leben tragen

Zu leeren, grauen Tagen,

Ein greiser Büßer, hin.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 306-307.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)