6.

[373] Das ist des Lebens innigster Verstand:

Bescheiden sein im guten Augenblick,

Das Nahe voll umfassen, alles rings

Durchfühlen und genießen – aber nicht allein.


Was will ein Herz allein? Es schlägt und schlägt

Und müdet sich ins Leere. Sehnsucht ist

Sein Loos, und Sehnsucht fühlen, heißt: in sich

Dem Leben fern sein.


Oh Geliebte, komm.

Ich will dich fühlen und lebendig sein.


Was brauch ich Himmel, Ewigkeit und Gott?


Ich habe dich. Der Augenblick mit dir

Ist Ewigkeit in Gott. Wenn meine Hand[373]

Die runde Fülle deines Busens fühlt,

Fühl ich, daß Leben haben Gott sein ist.


Denn du bist schön. Und Schönheit ist der Sinn

Der Welt. – Schönheit genießen, heißt die Welt

Verstehn.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 373-374.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)