Das Mädchen ohne Bräutigam

[389] Wenn ich Braut bin, wenn ich Braut bin,

Will ich haben kein weißes Kleid,

Kein weißes Kleid;

Aus schwarzer Seide, so soll es sein,

Aber viele, viele weiße Rosen drein,

Große, weiße Rosen gestickt.

So will ich gehen, so will ich gehen,

Ganz langsam, langsam an den Altar.

Aber rote Rosen, ganz dunkelrote Rosen

Im Haar.


Und mein Brauthemd? Mein Brauthemd?

Wie soll das sein?

Vom allerfeinsten Linnen

Und schneeweiß soll es sein.
[389]

Blos oben am Halse von Spitzen ein Rand

Und unter den Spitzen ein blaßblaues Band.

So soll mein weißes Brauthemd sein.


Und dein Bräutigam, Mädel, wie soll der sein?


Schön und stark soll mein Bräutigam sein,

Nicht gar so baumlang, aber auch nicht klein,

Und nicht schniegelbügelglatt;

Mit den Augen soll er lachen,

Wenn er im Arme mich hat.


Kennst du so Einen?


Gott, bist du dumm! Ich kenne keinen.

Wenn ich einen kennte und hätt ihn lieb,

Mir keine Zeit zum Ausmalen blieb.

Nähm ihn, wie er wäre, ob groß oder klein;

Auch das Brautkleid sollte mir einerlei sein.

Würde nach seinem Auge mich kleiden

In schwarze oder weiße Seiden.

Weiß doch, daß mir alles steht.


So ist dir gar nicht ernst, was du sagst!


Nein bist du dumm, wie so ernst du fragst!

Blos, daß die Zeit vorübergeht,

Bis er kommt, den ich und der mich mag,

Vermal ich bunt mir so den Tag.[390]

Ach, dann, wenn er da ist, dann, ach, dann,

Mal ich mir weder Kleid noch Mann.

Dann thu ich ... Was denn?

Hasche mich, du!

Na, so komme doch, lauf doch, greif doch zu!

Gott, bist du langsam! Wenn ihr Alle so seid,

Brauch ich niemals ein Hochzeitskleid.


Quelle:
Otto Julius Bierbaum: Irrgarten der Liebe. Berlin/Leipzig 1901, S. 389-391.
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Der Neubestellte Irrgarten Der Liebe: Um Etliche Gaenge Und Lauben Vermehrt, Verliebte Launenhafte, Moralische Und Andere Lieder, Gedichte U. Sprueche . Bis 1905. 1 Bis 6 Tausend. (German Edition)