Vorwort


Das sang- und sagenreiche Schwabenland ist für den Kulturhistoriker, den Sprach- und Mythenforscher eine nicht minder ergiebige Fundgrube, als das Erbetheil anderer deutscher Stämme. Zwar ist auch in Schwaben schon Vieles zu Tage gefördert worden, was im tiefen Schacht abgeschlossenen Volkslebens verborgen lag; aber wir hatten schon längst die Ueberzeugung gewonnen, daß noch viel des edelsten Erzes heraufzuholen sei. Der Beruf, dem wir – der eine als Seelsorger, der andere als Arzt – leben, die innige Beziehung, in der wir durch unsere Geburt zum Volke stehen, das langjährige Studium einschlägiger Disciplinen gaben uns Mittel und Wege an die Hand, Vieles der unvermeidlichen Vergessenheit zu entreißen, was mit Rieseneile unwiederbringlich verloren gehen will. Vor dem Taglicht der modernen Bildung sinkt das Uralte in den geheimnißvollen Schooß der Erde. Der Telegraph und die Tarnkappe vertragen sich nicht mit einander. Das Bewußtsein, der Wissenschaft vielleicht einen Dienst leisten zu können, hat uns den Mut gegeben, mit dieser Sammlung an die Oeffentlichkeit zu treten. Ueberdies glauben wir es unserem Volksstamme schuldig zu sein, dem Kulturhistoriker und dem Sprach- und Mythenforscher Denkmäler aus dessen Leben zur Würdigung zu übergeben, verhehlen es uns aber freilich auch nicht, daß wir eben damit die Verpflichtung übernommen haben, Alles, was wir aus dem Volksmunde gehört, splitternackt so wiederzugeben, wie wir es gehört, damit der Inhalt unseres Buches der unverfälschte Ausdruck seiner Tradition sei, so weit wie ihrer habhaft werden konnten. Wir haben nirgendwo weder etwas hinzugethan, noch davon genommen, und uns eben deßhalb jeglicher Deutung enthalten. Wir hoffen, daß man uns aus diesem Grunde die Unterlassung[7] einer streng systematischen Eintheilung des Stoffes vergeben werde, weil wir den Fehler zu vermeiden glaubten, den wir an Andern so gerne tadeln, daß sie nämlich in der vieldeutigsten Sage oder Märe sofort eine bestimmte Göttergestalt zu erkennen glauben und nun durch kühne Erklärungsversuche weit ab vom Ziele schießen. Wir möchten schon in der Erklärung der Mythen die Altmeister, welche die modernen Deutereien nicht selten anekeln müssen, nicht ärgern: wir meinen J. Grimm und Ludwig Uhland, welch' lezterer Name ja an der Spitze unseres Buches steht. Was den ersten Band des Volksthümlichen, die Sagen, betrifft, ist er abgeschlossen; vielleicht ist uns später die Fortsetzung von Sagen möglich; wir sammeln immer wieder neue.

Und so übergeben wir denn unser Buch den prüfenden Sonden der Kritiker in dem festen Vertrauen auf ihre Gerechtigkeit, welche unsere gute Absicht zu würdigen wissen wird.

Schließlich danken wir allen denen von Herzen, die uns durch Beiträge unterstüzt haben, und bitten sie, uns auch fernerhin in der Sammlung von Sagen, Märchen etc. durch zahlreiche Mittheilungen rüstig unter die Arme greifen zu wollen.


Im Hornung 1861.

Dr. Anton Birlinger.

Dr. M.R. Buck.[8]

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861.
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