59. Rotmäntele auf dem Spitzberg.

[45] Mündlich von Tübingen.


Auf dem Spitzberg bei Tübingen hauste vor Alters ein Zwerg in den Kellern und Verließen der Oedenburg. Man hieß ihn unter dem Volke nur das »Rotmäntele«, von seinem roten Mäntelchen, in dem er sich den Leuten zeigte. Rotmäntele kam oft, ja fast alle Tage, herunter an den Neckar, der unten vorbeiläuft, um sich zu baden. Ging allemal zur nämlichen Stunde um Mittagszeit herunter und wieder hinauf auf demselben Wege, in derselben Furche eines Weinbergs. Hirschauer, wenn sie in ihren Wiesen oder Weinbergen arbeiteten, sahen »Rotmäntelchen« sehr oft. Manchmal konnte man es sehen auf dem Fahrwege, den Leuten, die in den Halden herum schafften, zusehend, bei dessen Anblick sie sich aber allemal versteckten. In Tübingen lebte ein Mann, der kam öfters auf den Spitzberg vor Sonnenaufgang. »Rotmäntelchen« erschien ihm dann, aus dem Loch heraufsteigend, und unterhielt sich einigemal mit ihm wegen eines Schatzes, den es ihm unter gewissen Bedingungen zu zeigen versprach. Der Schatz liege mitten im Felde der Tübinger Markung, und sei schwerer als der Oesterberg. Der Mann sollte das Geheimniß des Schatzes Niemand verrathen. Habe er aber den Schatz gehoben, so dürfe er ihn nicht in der Heimat genießen, sondern er solle in apfelgrünem Gefährt, gezogen von apfelgrünen Pferden, gen Wien fahren und ihn dort verbrauchen34.

34

W.M. Ztschr. IV. 168. Wolf, Beiträge II. 309. Ein scharlachrotes Mäntelchen hat auch das »Härdmändlene« auf der Ramsflue. Grimm, Myth. I. 2. 419. 420. Anmerk. u. 431. Erdmännlein zeigt Schätze, siehe B. Baader, bad. Sagen, 2. Samml. S. 4. Nr. 8. Rote Jäcklein der Zwerge: W.M. Ztschr. I. 192. Nr. 12. Harrys I. Nr. 5. Rote Männlein, aber als Waldmännlein, bei Meier S. 81. Nr. 88, 1. 2. Rote Mützen der Kobolde: Schambach und Müller, niedersächs. Sagen S. 141. Nr. 153. Zingerle, Sagen, Märchen etc. S. 57. Menzel, deutsche Dichtung I. 97. »Die Bergzwerge in roten Röcken bezeichnen das unterirdische Feuer.«

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 45-46.
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