399. Der närrische Weber.

[252] Schriftlich von Rotweil.


Im Neckarthale zwischen der Fuchsmühle und der Neckarburg, da wo das Thal am engsten ist und der Neckar hart auf der einen Seite an der steilen Felswand vorbeifließt, dort sind im Felsen mehrere Klüfte. Eine ist namentlich groß und geräumig. Im Schwedenkriege, sagt man, hatten Leute sich dahin geflüchtet aus der Stadt oben. Der Zugang zu der Höhle ist nicht besucht, es mag Niemand hingehen, weil es dort lebensgefährlich ist. Und wenn man auch hin könnte, so geht doch Niemand gerne bis zur größten der Höhlen, geheißen von den Leuten »die närrische Weberhöhle«. Die Höhle heißt darum so: es hauste einstmalen[252] vor Alters der »närrische Weber« darin: ein sonderbarer Ding. Es war ein wilder abscheulicher Mann, der keine Kleider anhatte, wie andere Leute, sondern nur ein einziges Hemd trug. Sonst war er nicht böse, man fürchtete ihn aber gar sehr. Er trieb merkwürdig närrisches Zeug und freute sich deß gar sehr, recht besondere Sachen zu kochen. »Holderdötschlein« war seine liebste Kocherei: es sind Holderküchlein. Wenn zuweilen Einer es wagte, in seine Höhle zu kommen, nahm er alsbald Mehl und »Holderbluscht« oder Beeren und zeigte seine Kochkunst. Weil aber doch selten Jemand kam, buck er nur für sich allein Holderdötschlein. Bog zwei Bäumchen mit ihren Aesten herab in die Pfanne und hielt sie so lange, bis die Zweige in das Küchlein hineingebacken und das Küchlein schön gelb war; dann ließ er die Bäumchen fahren, so daß die Fetzen nach allen Seiten hinausflogen, die nicht hängen blieben an den Zweigen.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 252-253.
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