405. Die feindlichen Brüder.

[256] Bei Wißgoldingen liegt der Heldenberg, ihm gegenüber das Graneckle. Inzwischen liegt das enge Christenthal. Auf dem Heldenberg stand vor alten Zeiten eine Burg; Ueberbleibsel sollen noch da sein. Der vom Heldenberg hatte zwei Söhne. Um vor seinem Tode jedem eine Burg hinterlassen zu können, baute er eine Burg auf das Graneckle und verband sie mit dem Heldenberg durch eine lederne Brücke. Beide Brüder ritten darauf hin und her. Der auf dem Graneckle war böse. Bei einer Jagd um die Heldenburg kam er das Thal herunter an einem Schäferhaus und gewann eine junge Schäferin gar lieb. Kam und kam wieder, so daß es zulezt zu einer Heirat kam. Der Brautzug auf das Graneckle sollte nächtlicherweise vor sich gehen. Der vom Heldenberg lauerte mit seinen Knappen in einer Klinge und wartete bis zum Augenblicke, da der Zug kam, überfiel Braut und Knappen seines Bruders und hob sie in seiner Burg auf. Das betrübte den Bruder gar sehr, sann alle Tage[256] und alle Stunden auf Rache. Alle Tage stellte der drüben mit seiner Beute sich auf und neckte ihn. Einsmals sah er ihn allein drüben, wie er den Bogen spannte; er that desgleichen, und beide Brüder fielen im selben Augenblicke getroffen nieder229.

229

Eine häufig vorkommende Sage. Zwei benachbarte Ritter macht die Ueberlieferung oft zu Brüdern. Schambach und Müller Nr. 4. 2. (die von Gleichen erschießen sich zu gleicher Zeit von ihren Thoren aus) S. 330. Nordd. Sagen 145. Müllenhoff 47. – In alter Zeit war ein solches Entscheidungskämpfen zwischen Brüdern nicht so selten. In der Nähe von Altötting liegen, kaum eine Stunde von einander entfernt, zwei Kapellen auf Stellen errichtet, wo Brüder, um ein Besitzthum streitend, mit Büchsen auf einander schossen. In beiden Fällen blieben Beide todt. – Sagen-und Geschichtbuch aus der Vergangenheit der Städte: Burgau, Günzburg, Gundelfingen, Lauingen, Dillingen und Wertingen. 1851 (v. Glasmaler Mittermaier) S. 64. Anmerk. Vgl. d. Sage S. 63-68 a.a.O.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 256-257.
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