579. Der Palmen.

[346] Mündlich.


Hatte ein Bauer drei Söhne: Jörg, Michel und Stoffel. Der Jörg aber hat studirt, der Michel war ein wackerer[346] Bauernjunge, der Stoffel ein krummer, buckliger, schielender, rothaariger, dummer Kerl. Da ließ der Fürst bekannt machen, wer an seinem Tag ihm den schönsten Palmen bringe, der soll seine Tochter bekommen. Dachte der Jörg, hab ja studiret, will schon den schönsten zu Wege bringen. Ging drum in's Holz und fing an Kuzeln und alles Mögliche zu schneiden. Kam das Waldweiblein und sprach: »Was machst du da?« Sagt der Jörg: »Für den Fürsten einen Palmen, und dazu einen recht schönen.« Sprach das Weiblein: »Wenn du mir ein Pudele Schnaps versprichst, mache ich dir den schönsten von der Welt.« Er bejahte ihr Begehr und legte sich wartend nieder. Bald war das Weiblein fertig und er gab ihr den Schnaps. Des andern Morgens machte er sich auf den Weg an den Hof. Da begegnete ihm in dem Wald ein altes Männlein und fragte: »Was hast du in deiner Schachtel?« Sprach der Jörg: »Hm! was werde ich drin haben – Vögelesfüß?« Sprach das Männlein: »Sollen's auch sein,« und ging weiter. Wie er an den Hof kam und seinen schönen Palmen sehen lassen wollte, waren wirklich lauter Vögelesfüß drin. Dafür bekam er eine tüchtige Portion auf die Hosen. Dachte inzwischen der Michel, ich will's auch mal probiren. That wie der Jörg und erlebte das nämliche Abenteuer. Im Wald begegnete ihm dasselbe Männchen, er gab auf dessen Anfragen die derbe Antwort, er habe Roßbollen in der Schachtel. Er kam zu Hofe an; er ward gemahnt, wenn er nichts rechtes brächte, so bekäme er mindestens fünfzig. Michel betheuerte, einen schönen Palmen zu haben und er hatte – Roßbollen. Mit tüchtigen Prügeln ward er von dannen gejagt. Endlich wagte es Stoffel. Er hatte dieselben Erlebnisse wie Jörg und Michel. Aber auf die Anfrage des Männleins (in welches sich die[347] Waldschrat verwandelt hatte) versezte Stoffel, er hätte den schönsten Palmen von der Welt. Sagte das Männlein: soll's auch sein und ging seines Weges. Aber den Stoffel wollte man gar nicht vorlassen, ob seiner Postur und von wegen der vorigen Auftritte. Endlich ward es doch gestattet, damit man an ihm, als an einem Stoffel, auch seine Freude haben könnte. Aber, o Schrecken! der König sah, daß er bei weitem den schönsten Palmen habe. Die Königstochter wollte nichts von ihm wissen. Da ging er trübselig nach Haus. Als Bedingung hatte man ihm noch gestellt, er müsse alle Hasen und Vögel zusammenbringen und hüten. Das konnte er nicht. Da kam das Männlein abermals und sprach: »Stoffel, warum weinst?« Entgegnete der Stoffel: »Weil man mich hat abgewiesen.« Sprach das Männlein: »Weiß schon; schau! da hast du eine Schwebelpfeife, mit der kannst alles Gethier zusammenpfeifen; und daß dich die Königstochter mag, will ich dir etwas eingeben, das führt deine Gebrechen ab.« Stoffel kehrte um, ging wieder zum König und versprach die Bedingung zu lösen und löste sie. Auch war mittlerweile seine Ungestalt vergangen, die Königstochter nahm ihn und er ward König des Landes.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 346-348.
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