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[463] Es starb ein Bauer, der hatte eine sehr einfältige Frau und einen pfiffigen Sohn hinterlassen. Durch das Dorf kam ein lustiger Vogel gegangen, der schaute beständig gen Himmel. Die Wittwe sah zum Fenster heraus und rief ihm zu, was er doch immer in die Höhe schaue! Ei! versezte der Wanderer, ich sehe mich nach dem Loch um, durch das ich vom Himmel gefallen bin. Da rief ihn die Bäuerin voll freudigen Erstaunens zu sich ein, damit er ihr erzähle, wie es ihrem Mannselig auch Jenseits ergehe. Ei! den kenn ich schon, sagte der Schlingel, es geht ihm so weit schon gut, aber an Leibwäsche fehlt es ihm stark, nicht minder an Taschengeld und Proviant. Doch sei er geneigt, etwas mitzunehmen, wenn sie für ihren Mann vielleicht einige Kleinigkeiten besorgen lassen wolle, denn er selbst werde bald wieder in den Himmel zurückkehren. Die Bäuerin war seelenvergnügt und gab dem Wandersmann noch mehr zum Tragen mit, als er erwartet hatte. Der Bruder Lustig machte sich jezt eilig davon. Kurz drauf kam der pfiffige Sohn heim. Dem erzählte die Mutter, was sie für eine geschickte Gelegenheit gehabt habe. Da ward der Bauer zornig und schalt seine Mutter eine Gans. Sezte sich zu Pferd und[463] eilte dem Gauner nach. Dieser aber sah den Bauern von weitem kommen, ahnte nichts Gutes und warf seine Last in's Gebüsch. Als der Bauernsohn daher kam, fragte er den Wanderer, ob er nicht einen Gauner mit einem Pack habe vorübergehen sehen. O ja! versezte er, hätte ich ein Pferd wie ihr, dann wollte ich ihn gleich gefangen haben. Da trug es ihm der Bauer an. Ich kann nicht gehen, sagte der Schuft, denn hier unter meinem Hut habe ich eben einen so wunderschönen Vogel gefangen, daß ich nicht von ihm kann. Da sagte der Bauernsohn, er wolle den Hut hüten, wenn ihm der Mann den Gauner bald beizubringen getraute. Da wurden die zwei Handelseins und der Gauner trabte auf Nimmerwiedersehen mit dem Pferd von dannen. Als er doch bedenklich lange nicht wiederkehrte, hob der Bauer sachte den Hut des Schelmen, um den Vogel zu erhaschen, aber statt eines Vogels bekam er etwas, was man sonst beim Dorf hinter dem Hag findet. Da sah er, daß er ärger geprellt war, denn seine Mutter, und schalt seine Mutter nicht mehr.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 463-464.
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