3. Die Stuhlfeste, bis zur Hochzeit150.

[323] Nach feierlicher beiderseitiger Einwilligung macht man[323] gleich den althergebrachten »Festwein« aus; Stuhlfeste heißt die Feier im Allgäu. Es ist diese Sitte überall; wie sie aber allerorts genannt wird, weiß ich nicht. Die Stuhlfeste ist die Feier, die auf beiderseitige Einwilligung folgen muß und selbige bekräftigt. Die Festlichkeit wird gewöhnlich in der Hochzeiterin Heimat, aber nur im Wirtshause abgehalten. Die ganze Familie des Hochzeiters, Eltern, Geschwister erscheinen in der Hochzeiterin Heimat. Gewöhnlich richtet man den »Festwein« auf den Samstag, an dem das Hochzeitpaar zum Pfarrer geht, sich erklärt und das Brautexamen hat. Da wird darauf los gebacken und gebraten, alles im Vollauf besezt. Braten und Salat nebst den im Allgäu bekannten nackten Würsten sind da. Alles läßt sich's im Essen und Trinken weidlich schmecken, und Fröhlichkeit herrscht überall um und um. Kehrt der Hochzeiter mit den Seinigen heim, so werden von allen Höfen Böller losgelassen.

Vom Festwein oder der Stuhlfeste an bis zur Hochzeit findet das »Laden« zur Hochzeit, die Einladung statt. Bald, wie im Allgäu, geht Hochzeiter und Hochzeiterin selber herum mit einander und laden ein; bald geht der sog. Werber, dessen Geschäft wir schon kennen lernten, herum und ladet ein. Er ist festlich angekleidet, in der Hand einen knotigen Haselstock, mit einer blauen, hellroten Masche verziert. Ich mache hier aufmerksam auf die Haselstaude, die in Hochzeitsachen eine Rolle spielt. Auch in andern Gegenden Schwabens habe ich es schon getroffen. Die Bedeutung der Nüsse als erotischer Symbole ist anerkannt, das zeigen zahllose Hochzeitssitten und Bräuche. Daher erhält denn auch die[324] Haselstaude des Hochzeitläders Sinn und Bedeutung. Diese Bedeutung erweiterte sich. Die Symbole der Fruchtbarkeit und Liebe erweiterten sich zu Symbolen des Lebens, der Unsterblichkeit, woher die Haselruten in Gräbern der deutschen und keltischen Vorzeit zu erklären sind. Das Nähere, hieher Gehörige findet sich, wenn ich nicht irre, in der Wolf-Mannhart'schen mytholog. Zeitschrift, in Mannharts Aufsatz: »Fro – Donarcult« (III. Bd.). Fernere Auszeichnung des Hochzeitladers ist die Rose, mit Bändern umhangen im Rockknopfloch, nebst einer Masche (Schlaufe von Bändern). In Niederschwaben, z.B. im Rottenburgischen, ladet der Hochzeitlader blos auswärts; im Dorfe selbst besorgen die Hochzeiterin und ihre »Gschpiel« (Brautführerin) das Geschäft, und zwar leztere in höchst feierlichem Anzug, wobei der Kleesamen-Rock bemerkenswert ist, sowie die Schappel, das Schäppele. Der Kleesamen-Rock ist ein gelblicher, braungesprekelter Festrock, seit alten Zeiten bräuchig in Wurmlingen; jezt verschwindet er vor den langen Kleidern. Neben dem Kleesamen-Rock ist der ganz hellgrüne, ebenfalls festliche Rock zu nennen, der noch häufiger getragen wird. Interessant und hübsch ist der schöne, glänzende, aus kleinen Messingschildchen und Messingschuppen gebildete Gürtel, der nicht fehlen darf, an dem ein Sackmesser angebracht; ob jezt noch, weiß ich nicht genau mehr.

Das Sprechen und Absingen von Sprüchen beim Hochzeitladen ist dem oberschwäbischen Hochzeitläder (Allgäu) eigen, der niederschwäbische Brauch ist nicht nachzuweisen; hier kommen nur noch am Hochzeittage selbst Sprüche und Reimereien vor. Der oberschwäbische Hochzeitläder beginnt beim Eintritt in's Haus mit dem Gruße von den Brautleuten; nach diesem kommt ein sinniger Spruch, der manchmal ein hohes[325] Alter und traditionelles Ansehen hat, manchmal aber auch nur vom Läder für seinen Bedarf zusammengestoppelt ist. Ich konnte leider in meiner Ferienreise zu diesem Zwecke keines wichtigen älteren Spruches habhaft werden, der sich hier schön einfügen ließe. Aus der Saulgauer Gegend folgen mehrere weiter unten.

Eigentümlich ist, daß die Braut während ihrer Einladungszeit nie ohne Armkorb ausgeht. Sie hat da drinnen Nastücher, und wem bei ihrer Einladung ein solches gegeben wird, der ist eingeladen zum Hochzeitessen. Leztere Sitte, das Schenken von Nastüchern, traf ich sonst oft; in meiner Heimat ist es auch bräuchig. Da bekommt sogar der Pfarrer des Nachmittags vom Bräutigam und den Gesellen eigenhändig ein Nastuch und eine Maas Wein. In andern Gegenden (z.B. sah ich es so im Wildbad) wird ein nobles Sacktuch herausgetanzt. Bei dieser Nastüchersitte ist es so, daß Jeder, der ein solches erhält, schon vornherein zu einer wertvollen Schenke, Schenkung an die Brautleute verpflichtet ist. Wo die Braut, die oberschwäbische Hochzeiterin, während der drei Wochen vor der Hochzeit hinkommt, erhält sie Werg, eine »Dock«, ein »Knittel« geheißen. Dies ist so ziemlich alles Geschenkte, mit Ausnahme einiger Porzellangeschirre. Ein Unterschied hierin ist zwischen Nieder-und Oberschwaben, indem dort die Sitte des Schenkens eine umfassende, hier eine unbedeutende ist. In Niederschwaben ist der Hochzeittag sonach ein Gewinntag, in Oberschwaben mit vielen Auslagen verknüpft.

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»Stul veste« Augsb. Stadtrecht Bl. 13b. Sp. 2. »Stul vöstin« Ulm. Hochzeitsordg. bei Hausleutner II. 213. 3. Vestwein Gloss. z. Augsb. Stadtrecht Bl. 10a. Vgl. Schmeller I. 576. 191. Schmid 517. 191. Rixner II. 236.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 323-326.
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